Sowohl Spontaneität als auch Strategie

Die Beiträge eines Symposiums über pianistische Improvisation zur Beethoven-Zeit sind in Buchform zusammengefasst.

Beethoven-Denkmal von Caspar von Zumbusch (1880), Beethovenplatz Wien. Foto: GuentherZ / wikimedia commons

In seinen ersten Wiener Jahren wurde der junge Beethoven als Improvisator offenbar höher geschätzt denn als Komponist. Und noch bei der Uraufführung seiner Chorfantasie 1808 soll er weite Teile improvisiert haben. Das Spiel aus dem Stegreif gehörte also zum Alltag – und führte oft unmittelbar in die Komposition hinein. Diese Aspekte sind mittlerweile auch in der Musikwissenschaft angekommen und werden im Fall Beethovens intensiv untersucht. Gerade den Musikhochschulen kommt dabei eine wichtige Rolle zu, weil sich an diesem Punkt Theorie und Praxis verbinden können.

So organisierte die Hochschule der Künste Bern 2013 ein Symposium über die pianistische Improvisation der Beethoven-Zeit. Der daraus hervorgegangene Sammelband Das flüchtige Werk beleuchtet verschiedene interessante Aspekte aus diesem reichen Gebiet, etwa das Extemporier-Erbe aus der Bach-Tradition (sowohl Johann Sebastian als auch Carl Philipp Emanuel) oder die Rolle des «freyen Spiels» in der musikalischen Rhetorik der Epoche. Ein Aufsatz untersucht das Improvisatorische zum Beispiel in Beethovens Rule Britannia-Variationen, andere gehen Zeitgenossen nach wie den heute weitgehend vergessenen Joseph Lipavsky oder Joseph Preindl, deren Rondeaus bzw. Opernfantasien freie Elemente enthalten.

Welchen Formmodellen aber folgten die auskomponierten Klavierfantasien der Zeit – und lässt sich daraus ein Schluss auf die damals oft stundenlang dauernden Improvisationen ziehen? Carl Czerny etwa kann darüber Auskunft geben. Schliesslich wird der Raum untersucht, den die Improvisation in Klavierkonzerten, aber auch in den damals beliebten Pianisten-Duellen erhielt. Mozart und Clementi etwa mussten bei ihrem Wettstreit gemeinsam über ein Thema variieren, wobei ihnen abwechslungsweise die Rolle des Akkompagnements zufiel.

Diese Themen werden hier sachlich und nüchtern, verständlich und selten spekulierend erläutert. Improvisation erscheint dabei nicht nur als das Ideal einer aus der Spontaneität geborenen Musik, sondern auch als ein Produkt von Strategie und Kalkül, also als vorausbedacht. So gesehen, sind denn auch Komposition und Improvisation keine Gegensätze mehr, sondern sie greifen ineinander.

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Das flüchtige Werk. Pianistische Improvisation der Beethoven-Zeit, hg. von Michael Lehner, Nathalie Meidhof und Leonardo Miucci, 209 S., € 35.00, Edition Argus, Schliengen 2019, ISBN 978-3-931264-92-5, kostenloses PDF

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