Plädoyer für Offenheit
Werner Grünzweig hat sechs Komponisten und eine Komponistin über ihre Studienzeit befragt. Eine Spurensuche über verschiedene Wege zur Musik
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Man könnte es trocken «Beiträge zur Biografie-Forschung» nennen. Doch Werner Grünzweigs «Gespräche mit sechs Komponisten und einer Komponistin über ihre Studienzeit» bietet weit mehr als subjektive Rückblicke mittlerweile erfolgreicher Komponisten. Wer aufmerksam die Interviews liest mit Peter Ablinger, Orm Finnendahl, Georg Friedrich Haas, Hanspeter Kyburz, Bernhard Lang, Isabel Mundry und Enno Poppe, der erhält tiefe, zugleich lebendige und facettenreiche Einblicke, die einiges sagen über ästhetische Erziehung, über Psychologie und nicht zuletzt auch über ein bestimmtes Milieu namens Neue Musik.
Ein steter Bezugspunkt ist der österreichische Komponist und Kompositionsprofessor Gösta Neuwirth. Er war von etwa 1980 bis 1990 Lehrer aller sieben Porträtierten, teils in Graz, später in Berlin. Neuwirth war ein liberaler Förderer, dem Kompositionstechnik viel, aber nicht alles bedeutete. Mit seinen Studenten sprach er über Filme, über Literatur und Malerei. Den in der Schweiz aufgewachsenen Hanspeter Kyburz inspirierte seine Grazer Studienzeit gerade wegen der Vielfalt: «Göstas Unterricht war sehr anregend, sehr offen, fremde Welten. Aber was macht man dann mit diesen Aliens, die man gesehen hat?»
In der Tat eine zentrale Frage. Wer sich die Entwicklung der sieben so unterschiedlichen Komponisten vergegenwärtigt, kommt erst mal zum Schluss, dass jeder seine eigene ästhetische Welt baute. Kyburz ging in eine fast naturwissenschaftlich-objektive Richtung, Peter Ablinger verfolgte eine konzeptuell-grenzüberschreitende Ästhetik, während sich Georg Friedrich Haas erfolgreich der mikrotonalen Klangerkundung zuwandte. Dass er keine Schule im Sinne Arnold Schönbergs ausbildete, spricht eindeutig für Neuwirth. Es gibt ungleich rigidere Kompositionsprofessoren mit ungleich engerem Musikbegriff.
Neuwirth ist zwar das verbindende Glied, doch Grünzweig geht es nicht primär um den Kompositionsunterricht. In den – bereits in den Jahren 2007 und 2008 geführten – Interviews stellt er seine Fragen offen, vom Gesprächsfluss geleitet, jeweils zugeschnitten auf den jeweiligen Komponisten. Diese Methodik führt zu einer mitreissenden Themenvielfalt, auch zu einem sehr persönlichen Ton. Selbst Fachleute für den ein oder anderen Komponisten werden Neuigkeiten erfahren, auch zwischen den Zeilen einiges herauslesen können (gerade dort, wo Namen nicht genannt werden). Fast melancholisch wird man bei diesen Rückblicken in die 1980er-Jahre. Damals gab es offenbar noch weit mehr Freiheiten als heutzutage, wo auch das Kompositionsstudium sukzessive verschult wird. Im Grunde ist das Buch ein Plädoyer für liberale Offenheit – eine Offenheit, die selbstbestimmte und selbstbewusste Wege erst ermöglicht.
Werner Grünzweig: Wie entsteht dabei Musik? Gespräche mit sechs Komponisten und einer Komponistin über ihre Studienzeit, 200 S., € 19.80, von Bockel-Verlag, Neumünster 2019, ISBN 978-3-95675-026-7