Aufschlussreiche Bildnisse

Leben und Werk berühmter Musiker einmal über die von ihnen gemachten Porträts erkunden? «Das ideale Musikerporträt» von Ute Jung-Kaiser macht es möglich.

Max Reger 1913. Gemälde von Franz Nölken (1884–1918). Wikimedia commons

Was sagen uns die Porträts grosser Musiker? Die deutsche Musikwissenschaftlerin Ute Jung-Kaiser bezieht die Bildforschung (Ikonografie) seit jeher für ihre Monografien zu Mozart, Beethoven, Chopin, Schubert, Wagner und anderen mit ein. Nun legt sie einen erhellenden Band vor zum Thema: Das ideale Musikerporträt. Von Luther bis Schönberg. Das Buch ist fast 530 Seiten dick und schwer, die Papierqualität muss ja auch die Bilder gut zur Geltung bringen.

Der Einstieg wird erleichtert durch die Aufteilung in 24 Porträts, und wenn man einmal im Thema ist, liest man mit Gewinn. Anhand der ausgewählten Bilder von berühmten und intensiv erforschten Komponisten der Musikgeschichte erfährt man Interessantes und Wesentliches zur Persönlichkeit und zur Rezeption ihrer Musik. Schade, dass keine einzige Komponistin dabei ist.

Als Ausgangspunkt für ihre Studie wählt Jung-Kaiser ein Bildnis des mythischen Sängers Orpheus, das Ideal des Musikers schlechthin, kann er doch mit seinem Gesang für die Geliebte den Tod überwinden. Sein Bildnis hat Vorbildcharakter, es wird für die Musikologin zum Prototyp. Ihre Bildauswahl wird von der Grundfrage geprägt: Welche dieser Porträts treffen den Kern? Welche sagen etwas aus über das, was die Künstlerpersönlichkeit definierte? Das Optimum, das ein Porträtist erreichen kann, besteht laut Jung-Kaiser darin, wenn das Bild «klingt». Das gelingt zum Beispiel dem Maler Franz Nölken (1884–1918) in seinem Porträt von Max Reger: «In Farbflächenkomposition und impressionistischer Lichtbehandlung fängt Nölken den in sommerlich-durchsonnter Atmosphäre ganz auf seine Arbeit konzentrierten Reger meisterhaft ein.»

Dass die «Farbflächenkomposition» nicht erst von den Impressionisten entdeckt wurde, zeigt uns eine Ölskizze von Isidor Neugass (um 1780–1874) mit dem Titel Joseph Haydn komponierend. Das Lichtspiel der warmen Farben (Braun und Gold) evoziert eine Aura, einen musikalischen Klangraum, in dem Haydn am Schreibtisch sitzt, in nachdenklicher, nach innen gerichteter Pose. Die verblüffend naturgetreue Wachsbüste, um 1795 von Franz Christian Thaler mit Haydns echten Haaren gestaltet, wirkt daneben seelenlos, ja banal.

Immer wieder bezieht Jung-Kaiser die Totenmasken der Künstler in ihre Betrachtungen mit ein, das letzte naturgetreue Abbild des Gesichts. Und vor allem in der Moderne werden Selbstporträts der Komponisten mitbetrachtet: Arnold Schönberg etwa hat sich oft selber gemalt, oder dann der zeichnerisch sehr begabte Paul Hindemith. Dies gibt Einblick in das Selbstverständnis der Komponisten, das die Autorin mit zielsicheren Zitaten und kenntnisreichen Schilderungen bei jedem Porträtierten aufzuzeigen vermag.

So treffen auf knappem Raum Innen und Aussensichten aufeinander, Bilder werden verglichen und in ihrer Aussage bewertet, man kommt dem Wesenskern dieser genialen Menschen erstaunlich nah. Je weniger Repräsentation und pathetische Idealisierung in einem Porträt mitschwinge, desto besser, schreibt Jung-Kaiser. So bietet dieses Buch interessante, in der Forschung bisher nur marginal behandelte Aspekte zur Rezeption der Musik und zur Persönlichkeit der Dargestellten.

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Ute Jung-Kaiser: Das ideale Musikerporträt. Von Luther bis Schönberg, 528 S., über 350 Abb., € 82.00, Georg Olms, Hildesheim u. a. 2019, ISBN 978-3-487-15792-4

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