Mit Wagner auf Reisen

Die drei Autoren Markus Kiesel, Joachim Mildner und Dietmar Schuth legen mit «Wandrer heisst mich die Welt. Auf Richard Wagners Spuren durch Europa» eine Art historischen Reiseführer vor.

Wagner-Denkmal in Venedig. Ausschnitt aus dem Buchcover

Ob ich dieses 1,8 Kilogramm schwere Buch eher den Wagner-Fans oder den Wagner-Verächtern empfehlen soll, weiss ich nicht, denn die Fülle der Informationen könnte den einen Bauchschmerzen bereiten, weil sie so vieles noch nicht gewusst haben, und die anderen von vornherein abschrecken, weil sie über die Marotten eines reisenden Komponisten im 19. Jahrhundert nichts erfahren wollen. Aber beiden verspreche ich, dass es ebenso viel Kurioses, Lustiges, Informatives und Tourismusträchtiges über den Komponisten enthält wie seine Autobiografie Mein Leben. Und insofern ist es die ideale Ergänzung dazu.

Über 200 Orte und Städte an mehr als 500 Adressen in 15 Nationen sind aufgeführt: Wo sich Wagner aufhielt; wie er zu Fuss, mit Postkutschen, mit Segel- und Dampfschiffen und mit der Eisenbahn durch Europa reiste und an unzähligen Orten Denkmäler sowie Gedenk- und Ehrentafeln an Hausfassaden «hinterlassen» hat.

Die Ergebnisse der umfangreichen Recherchen sind in kurzweiligen, aber doch präzis formulierten Texten und 895 Illustrationen festgehalten – auch seine Stiefel! Denn wer die verschiedenen Schweizer Gebirgswege begangen, etwa zum Faulhorn bei Grindelwald (2681m) oder zweimal auf den Pilatus (2128m), und auch die russische Grenze illegal überschritten hat, muss sehr gutes Schuhwerk getragen haben. In Mailand kletterte er dazu noch auf dem Dach des Domes herum. In Genua hatte er im Hotel sechs Stockwerke über die Treppe zu erklimmen, konnte von dort aber mit seinem «Doppel-Gucker» (Feldstecher) die Einfahrt der Schiffe im Hafen verfolgen. In Graupa (bei Dresden) ist er beim Joggen anzutreffen: «Ich laufe, liege im Walde, lese, esse und trinke, und suche das Musikmachen zu vergessen.» In der oberbayerischen Gemeinde Jachenau (bei Bad Tölz) wird der Bergwanderweg beschrieben, auf dem Wagner zur Hochkopf-Hütte (1299m) aufstieg. In Prag animierte er die Leute im «Schwarzen Ross» zum Singen der Marseillaise und schockierte sie mit waghalsiger Fassaden-Kletterei auf der Höhe des zweiten Stockwerks.

Grosse Enttäuschung aber bereitet, dass der Name der Putzmacherin Bertha Goldwag nirgends zu finden ist, denn Wagner schrieb ihr in neun Jahren mehr als drei Dutzend Briefe, die meisten aus Luzern, in denen er sie um «Beinkleider und Jacken» bat und um Unmengen von Stoffen für Schlafröcke, Decken und Vorhänge; die wechselnden Aufenthaltsorte musste jeweils ästhetisch ausstaffiert werden; zur Ausstattung von Wahnfried war sie allerdings nicht mehr gefragt. Bayreuth und Umgebung ist im Kapitel «Deutschland», das beinah hundert Seiten umfasst, erstaunlicherweise nur mit zehn Seiten vertreten, was den Wagner-Fans wohl als völlig unhaltbar erscheinen wird.

Selbstverständlich wird man mit allen denkbaren Hinweisen auf Momente der Inspiration für sein dichterisches und kompositorisches Schaffen versorgt, trifft auf sehr oder auch weniger bekannte Zitate aus Cosimas Tagebüchern und Briefsammlungen und staunt am Ende darüber, wie es dem umtriebigen Wagner gelungen ist, das umfangreiche und oft unerträglich schwadronierende schriftstellerische und das zumeist grandiose kompositorische Werk mit der mäandrierenden Reisetätigkeit in Einklang zu bringen.

Das Buch ist nicht chronologisch, sondern geografisch-alphabetisch geordnet. Deshalb findet sich die Schweiz (mit der Slowakei, Tschechien und Ungarn) am Schluss des Buches, wird aber mit 28 zweispaltigen Seiten und 98 Illustrationen sehr prominent berücksichtigt.

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Markus Kiesel, Joachim Mildner, Dietmar Schuth: Wandrer heisst mich die Welt. Auf Richard Wagners Spuren durch Europa, 272 S., € 54.00, ConBrio, Regensburg 2019, ISBN 978-3-940768-80-3

 

Auf Seite 218 wird angekündigt, dass die drei Verfasser im Laufe des Jahres 2020 einen grossen Bild-Text-Band zum Thema «Wagner in Zürich» vorlegen werden.

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