Monumentales Instrument – knappe Würdigung

In seiner Kulturgeschichte der Orgel bringt Karl-Heinz Göttert viele Informationen in gut lesbare Form. Der Kenner der Materie wird aber nicht ganz zufriedengestellt.

Zeichnung der Orgel für die Stettiner Synagoge. Das Instrument wurde 1914 von der Firma Walcker gebaut, 1938 in der Reichskristallnacht zusammen mit der Synagoge zerstört. Zeichner unbekannt, Quelle Walcker/wikimedia commons

Eine äusserst anspruchsvolle Aufgabe hat sich der Autor, emeritierter Professor für Ältere Deutsche Sprache an der Universität Köln und Verfasser einiger Orgelführer, mit diesem Buch gestellt. Eine Kulturgeschichte eines Instruments zu schreiben, das wohl wie kein anderes in einem Spannungsfeld steht, das wirtschaftliche, soziologische, religionsgeschichtliche und konfessionelle Aspekte genauso in sich vereint wie kunsthandwerkliche, akustische, architektonische oder kompositorische Fragen, ist vermutlich ohne ein gewisses Mass an Oberflächlichkeit kaum möglich. Umso erstaunlicher, dass in der vorliegenden Publikation doch sehr viele Themen Einzug gefunden haben oder zumindest kurz gestreift werden: Nach einer Einleitung zur Frühzeit der Orgel werden die verschiedenen Nationalstile geschildert, der Orgelbau und sein Kontext am Beispiel einiger grosser Namen (Schnitger, Silbermann, Walcker, Cavaillé-Coll) oder geschichtlicher Entwicklungen (Orgel im «Dritten Reich») umrissen, einige Organisten und ihr Umfeld geschildert (von Francesco Landini im 14. Jahrhundert bis zum «enfant terrible» Cameron Carpenter) und ein kurzes Bild zur Orgelmusik in den heutigen Medien gezeichnet.

Unbestritten, dass man sich hier in Kürze ein Bild der Materie machen kann und dabei erst noch eine «süffige» Lektüre geniesst. Nur: Beim fortlaufenden Lesen ärgert man sich zum einen über die gelegentlich eher saloppe Sprache (Bachs «brutal schwere» Triosonaten) und über mehr oder weniger grosse sachliche Ungenauigkeiten; so schrieb Haydn z. B. nicht nur «ein», sondern 30 Stücke für die Flötenuhr, und Michael Praetorius beschreibt 1619 wohl kaum die Disposition der «Bach-Orgel» (!) in der Thomaskirche Leipzig. Das Literaturverzeichnis listet zum anderen zwar eine ganze Reihe mehr oder weniger bekannter Werke auf, aber auf den Nachweis von Zitaten wird genauso verzichtet wie auf die Herkunftsangabe nicht weiter begründeter Theorien, z. B. die Autorschaft von Michael Gotthard Fischer an den anonymen, lange Zeit Bach zugeschriebenen Acht kleinen Präludien und Fugen. Schade, denn Göttert gelingt es durchaus, in seinem flüssig geschriebenen, auf unnötigen Fachjargon verzichtenden und auch schön bebilderten Buch die Neugierde auf weitere Lektüre zu wecken.

Fazit: ein mit etwas Vorsicht zu geniessendes Buch, das sich wohl eher für Liebhaber als für Kenner eignet!

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Karl-Heinz Göttert: Die Orgel – Kulturgeschichte eines monumentalen Instruments, 408 S., € 34.95, Bärenreiter, Kassel 2017, ISBN 978-3-7618-2411-5

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