Der Neuen Volksmusik auf der Spur
In knappen Einführungen und umfangreichen Interviews wird eine vielgestaltige Musikszene erkundet.
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Der Leiter des Festivals Alpentöne in Altdorf, Johannes Rühl, und Dieter Ringli, Ethnomusikologe und Dozent an der Musikhochschule Luzern, haben die Neue Volksmusik in der Schweiz seit Jahren beobachtet, Presseartikel und Tonträger gesammelt und dieses Material mit ausführlichen Interviews bei Musikern und Musikerinnen zu Hause ergänzt und nun in einem umfassenden Sachbuch verarbeitet.
Unter dem Begriff «Neue Volksmusik» versteht man in der Schweiz instrumentale und vokale Musik, die mit traditionellen Melodien experimentiert, althergebrachte Instrumente auf neue Weise einsetzt, Jodel mit anderen Gesangsgattungen aufmischt und in professionellen Interpretationen vor allem an Festivals, auf Kleinkunstbühnen und über Radio DRS2 ein weitgehend urbanes Publikum erreicht.
Das Phänomen konzentriert sich seit 1999 auf das Festival Alpentöne in Altdorf, seit 2003 auf das Naturtonfestival im Toggenburg und seit 2008 auf die Stubete am See in Zürich, was die Autoren veranlasst haben dürfte, ihre Untersuchung auf die deutsche Schweiz zu beschränken. Bringt man die Neue Volksmusik nicht einfach mit der epochalen Edition der zehntausend, von Hanny Christen zwischen 1940 und 1960 notierten, von Fabian Müller und Ueli Mooser für den Druck vorbereiteten und 2002 von der Gesellschaft für die Volksmusik in der Schweiz (GVS) herausgebrachten Volkstänze aus der ganzen Schweiz als Initialzündung in Verbindung, sondern bedenkt die Anfänge als Folge der abklingenden Folkbewegung in den 1980er-Jahren und der Experimente mit alter Volksmusik aus aktuellen Anlässen, der 700-Jahrfeier der Schweizerischen Eidgenossenschaft (1991) und der Weltausstellung in Sevilla (1992), dürften auch Initianten aus der Westschweiz genannt werden.
Die Auseinandersetzung mit der wohl spannendsten Musikszene der heutigen Schweiz präsentieren die sachverständigen Autoren einleitend in 13 kurzen Kapiteln wie «Neues von damals», «Volksmusikalische Zwischenwelten», «Thema Appenzell», «Grundlage Folk». Im Zentrum der Publikation stehen 17 fünfstündige, von den Herausgebern transkribierte und gekürzte Gespräche mit 13 Musikern und 5 Musikerinnen, die sich in einer CD auch mit ihrer Musik äussern.
Dieter Ringli stellt im lesenswerten Fazit fest, es sei unmöglich, die Neue Volksmusik auf einen Nenner zu bringen. Das bestätigen die informativen Lebensläufe von Ueli Mooser, Markus Flückiger, Dani Häusler, Fabian Müller, Domenic und Madleina Janett, Thomas Aeschbacher, Nadja Räss, Töbi Tobler, Hans Kennel, Christoph Baumann, Dide Marfurt, Albin Brun, Christine Lauterbrug, Corin Curschellas, Erika Stucky, Christian Zehnder und Balthasar Streiff. Die meisten dieser Biografien beginnen aber bei musikbegabten und verständnisvollen Eltern.
Es fällt zudem auf, dass mehr als die Hälfte der zu Wort kommenden Träger dieses Musiktrends über sechzig Jahre alt, gut ausgebildet, von traditionellen Musikern geprägt worden und fleissig sind. Die Lust am Experiment mit immer wieder neuen Besetzungen, mit der Kombination verschiedener Stile, mit dem Wechselspiel von immer wieder anderen Musikpartnern ist das Geheimnis des unverkrampften Umgangs mit der überlieferten Volksmusik.
Die dem Buch beiliegende Audio-CD ist um ein informatives, dreisprachiges Booklet ergänzt beim Label Musiques Suisses, das sich die Dokumentation der Neuen Volksmusik zur Aufgabe gemacht hat, erschienen. Einleitungstext, Kurzbiografien der Interpreten und 19 sorgfältig ausgewählte Tonbeispiele erlauben eine konzentrierte Einführung in die Neue Volksmusik.
Dieter Ringli / Johannes Rühl, Die Neue Volksmusik. Siebzehn Porträts und eine Spurensuche in der Schweiz, 362 S., mit CD, Fr. 38.00, Chronos-Verlag, Zürich 2015, ISBN 978-3-0340-1310-9
Die neue Volksmusik. Musiques Suisses CD MGB –NV 30