Die Klavierpädagogin Margit Varró

Ruth-Iris Frey-Samlowski ist bekannt durch ihre zahllosen Berichte von Tagungen und Kongressen. Sie ist viel zu früh am 17. Juni 2014 gestorben. In ihren vierzehn letzten Lebensjahren befasste sie sich intensiv mit dem Leben und Werk der ungarischen Klavierpädagogin Margit Varró, deren Lehrbuch «Der lebendige Klavierunterricht» immer noch aktuell und nützlich ist. 2012 erschien ihre Dissertation.

Ausschnitt aus dem Titelbild

Das Besprechungsexemplar der Dissertation erreichte die Redaktion erst jetzt, aber nicht zu spät angesichts ihrer Bedeutung. Denn was bisher bekannt gewesen ist über Varró, war entweder auf Ungarisch geschrieben oder sehr lückenhaft, ja sogar zum Teil fehlerhaft. Die intensiven Recherchen zu jedem Detail der Dissertation haben sich gelohnt. Und wo sie ergebnislos geblieben sind, gibt die Autorin dies gewissenhaft an. Zwar fiel es ihr schwer, Wichtiges von Unwesentlichem zu unterscheiden. Doch erleichtert sie die Übersichtlichkeit durch 41 Tabellen über Varrós Lehrer, Kommilitonen, Konzerte mit Veranstaltungsorten, Programmen und Mitspielenden, desgleichen Konzerte ihrer Schüler, ihre Kurse, Vorträge und Veröffentlichungen usw. 89 zum grossen Teil bisher unveröffentlichte Abbildungen, auch farbige, schmücken das 471 Seiten starke Buch und machen es leserfreundlich, so dass das Wesentliche leicht zu finden ist.

Margit Varró, geboren 1881 (oder 1882?) wuchs in einer jüdischen Familie mit deutscher Herkunft und Umgangssprache auf und studierte an der Liszt-Akademie in Budapest, an der sie ihre vier Kollegen und Freunde fand, Kodály, Bartók, Dohnányi und Leó Weiner, und bis 1921 Klavierdidaktik unterrichtete. Bei der Konzeption und Ausführung von Bartóks Mikrokosmos war sie als seine Beraterin wesentlich beteiligt. Seit der Veröffentlichung ihres deutschsprachigen Hauptwerks, auf Französisch und Ungarisch übersetzt, bis heute Pflichtlektüre der Klavierdidaktik an deutschsprachigen Musikhochschulen, wurde sie international bekannt und reiste in ganz Europa zu Vorträgen, Kursen und Lehrproben, bis sie 1938 mit ihrer Familie in die USA emigrieren musste, wo sie bis beinahe an ihr Lebensende 1982 im bisherigen Ausmass berufstätig blieb.

Ein kleiner Überblick über ihr Lehrbuch soll hier genügen. Klavierunterricht sei Erziehung des musikalischen Sinnes und Verständnisses, umfasse auch Gehörbildung, Vermittlung von Elementarkenntnissen der Musik-, Harmonie- und Formenlehre, immer im Zusammenhang mit dem gründlichen Erkennen und Erfühlen des klaviertechnisch zu erarbeitenden Lehrstoffes, daneben –entscheidend – Improvisation. Sie propagierte neben dem Einzel- auch Gruppenunterricht. Der Anfängerunterricht beginne am besten ohne Noten mit Singen, Nachspielen und Begleiten von geeigneten Volksliedern; sie denkt natürlich an den ungarisch-rumänischen, damals erforschten Schatz. Bei und nach schrittweiser Einführung des Notenlesens sei das Memorieren aller Unterrichtsliteratur (!) unumgänglich. Beim technischen Teil gibt es einen Abschnitt über die versteckten musik-medizinischen und psychologischen Ursachen von Spielstörungen, ihre Diagnose und Therapie, sowie einen Abschnitt über das Üben, immer mit Lektionsbeispielen. Der psychologische Teil, ein Drittel des Lehrbuches, enthält eine hier nicht ausbreitbare Fülle von Anregungen.

Zurück zur Autorin der Dissertation: Sie studierte das Hauptfach Klavier mit Musikpädagogik, daneben Germanistik und Anglistik (Staatsexamen), im Aufbaustudium Philosophie und Geschichte. Lebenslange Weiterbildung war ihr ein Anliegen. Zuletzt absolvierte sie ein Musikwissenschaftsstudium. Neben Privatunterricht gründete und leitete sie eine Musikschule in Hagnau am Nordufer des Bodensees nach eigenem musikpädagogischem Konzept (Kinder und Erwachsene), in welchem auch der für die Kinderhand günstige ergänzende Unterricht auf Clavichord stattfand. Dort konnte sie jedes Jahr einige besonders Begabte erfolgreich zur Aufnahmeprüfung an Musikhochschulen vorbereiten. Im von Werner Müller-Bech geleiteten Arbeitskreis für Klavierpädagogik Saarbrücken wurde sie regelmässig zur Mitarbeit eingeladen. Dann wurde sie Dozentin für Musikpädagogik, Didaktik und Klassenmusikzieren an den Musikhochschulen Detmold, Frankfurt/M und Zürich. Daneben hielt sie unzählige Kurse und Gastvorträge, gab und organisierte Konzerte im In- und Ausland. Die Liste ihrer Veröffentlichungen umfasst 158 Nummern. Aus ihrer vielfältigen, rastlosen Tätigkeit wurde sie durch eine kurze unheilbare Krankheit gerissen.

Image

Ruth-Iris Frey-Samlowski, Leben und Werk Margit Varrós. Lebendiger Musikunterricht im internationalen Netzwerk, 474 S., € 59.95, Schott, Mainz 2012, ISBN 978-3-7957-0768-2

Das könnte Sie auch interessieren