Längst nicht nur «Freischütz»
Erst die Nachwelt machte Carl Maria von Weber zu einem betont deutschen Komponisten. Die neue Biografie von Christoph Schwandt – als E-Book und gedruckt.
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Wer das E-Book gelesen hat und neugierig auf das gebundene Buch wartet, um es mit der digitalen Version zu vergleichen, ist völlig perplex, wie umfangreich es ist: Bei der von mir als ideal gewählten Schriftgrösse ergaben sich im E-Book weit über tausend Seiten; ich wusste, dass das nicht dem Umfang der Papierversion entsprechen würde, war aber doch erstaunt, als das «richtige» Buch über 600 Seiten umfasste. Dazu war es genau hundert Gramm schwerer als mein iPad, womit ich schon über fünfzig E-Books gelesen und sie auch gespeichert habe. Die beiden Versionen sind nicht nur im Text, sondern auch im Zusatz-Apparat (Anmerkungen, Bibliografie, Werkverzeichnis, Personenregister und Abbildungsnachweis) identisch sind, ebenso in der Anzahl der Abbildungen, einige davon sind allerdings im E-Book zusätzlich in Farbe.
Zur Biografie selbst: Dem Autor gelingt es vorzüglich, die Zeit erlebbar zu machen, in die Carl Maria von Weber hineingeboren wurde, in sozialer, politischer und kultureller Hinsicht. Der Flickenteppich von kleineren und grösseren Fürstentümern, der das damalige Deutschland ausmachte und das Reisen und Organisieren für einen Komponisten und Dirigenten erschwerte, ersteht deutlich vor dem inneren Auge. Man staunt, wie Weber als Jugendlicher, im Wandertheater des Vaters mit ruheloser und unsicherer Existenz aufgewachsen, ein Netzwerk aufzubauen imstande war, das er zeitlebens nutzen konnte – der Musikbetrieb funktionierte viel spontaner, war aber auch risikoreicher. Stationen, an denen er jeweils längere Zeit wirkte, waren Breslau, Stuttgart, Prag und Dresden. Er strapazierte seine gesundheitlich reduzierten Kräfte. Der rasche Erfolg des Freischütz 1821 in Berlin, als er 35 Jahre alt und seit fünf Jahren Hofkapellmeister in Dresden war, begründete seinen Ruhm und führte drei Jahre später zur Einladung, für London eine Oper zu schreiben. Oberon wurde dort im April 1826 uraufgeführt, Weber dirigierte weitere zwölf Aufführungen, am 5. Juni war er tot – noch nicht vierzig!
Dieses reiche, zielgerichtete und intensiv ausgekostete Musikerleben wird bis in das dichte Beziehungs- und Produktionsnetz, aber auch bis in die familiären Details ausgeleuchtet, wobei die politischen Vorgänge mit Napoleons Ostfeldzug und den Versuchen um die Neu-Ordnung Deutschlands ebenso miteinbezogen werden wie der Wiener Kongress und die Vorgänge der Restauration. Die Werke werden im Prozess der Herstellung beleuchtet, jedoch nicht musikalisch analysiert, hingegen wird der Musikschriftsteller Weber als Beobachter der Musikszene ausgiebig zitiert. Eines stellt Schwandt mehrfach klar: dass Weber niemals der betont deutsche Komponist war, zu dem ihn sein Sohn Max Maria in einer dreibändigen Biografie (1864–66) und später nationalistische Kreise aufgebaut haben.
Drei gewichtige Vorteile der elektronischen Buchversion: Die Suche nach jedem einzelnen Begriff ist möglich und funktioniert rasch, ausserdem können die Begriffe direkt für die Suche im Web oder im Wikipedia-Lexikon angetippt werden. Die zahlreichen Anmerkungen sind mit einem Fingertipp sekundenschnell anzusteuern, ebenso die Rückführung zur Ausgangsseite. Jederzeit ist es möglich, Notizen anzubringen, die alle am Buchbeginn aufgelistet werden und ebenso schnell aufgerufen werden können. Dies alles wird im Bereich der Belletristik nicht von überragender Bedeutung sein, bei einem Buch mit zusätzlichem Apparat sind diese Vorteile nicht zu unterschätzen.
Christoph Schwandt, Carl Maria von Weber in seiner Zeit. Eine Biografie; gedruckt: 607 S., € 35.00; E-Book, € 24.99; Verlag Schott, Mainz 2014, ISBN 978-3-7957-0820-7