Lyrische Annäherung
Eine Anthologie präsentiert eine Fülle von deutschsprachigen Gedichten über die Laute und die Gitarre.
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«So reitzt die Laute mein horchendes Ohr», dichtete Johann Friedrich Lauson (1727–1783) zu einem Zeitpunkt, als die Laute fast schon ihrem eigenen Schwanengesang entgegensirrte und bald einer romantischen Verklärung weichen würde. Wenn auch lediglich temporär. Denn etwas mehr als hundert Jahre später sollte sie – nicht zu verwechseln mit der sogenannten Lautengitarre aus der Wandervogelzeit, die eine als Laute «verkleidete» Gitarre darstellt – wie Phönix aus der Asche steigen. Bis heute: Die Studentenzahlen für ein Lautenstudium an den Musikakademien wachsen stetig. Und auch die Beliebtheit der Gitarre ist ungebrochen. Da ist das Unterfangen von Raymond Dittrich, den beiden Instrumenten eine Anthologie mit knapp 150 Gedichten vom 16. Jahrhundert (der ersten Blütezeit der Laute) bis in die Gegenwart zu widmen, sehr passend. Diese «literarischen Kompositionen» zeugen von der anhaltenden Begeisterung, die ab den 1960er-Jahren mit den Groopies gar weitere «liebende Stilblüten» hinter die Bühne der Rockgitarristen zog; freilich kaum, um Gedichte zu rezitieren.
In Dittrichs Anthologie begegnet man den unterschiedlichsten literarischen Vorlieben, Stilen und Gattungen der jeweiligen Entstehungszeit. Zu Recht schreibt er: «Nicht weniger als die Musik gehören die Gedichte zur Kultur- und Sozialgeschichte von Laute und Gitarre.» Und so findet man nicht nur Bekanntes wie Der Lautenmacher des Nürnberger Meistersingers Hans Sachs (1494–1576) oder das Lobgedicht des Opernlibrettisten Johann Ulrich von König (1688–1744) auf seinen Zeitgenossen, den berühmten Barock-Lautenisten Silvius Leopold Weiss, sondern auch Poesie vieler unbekannter oder vergessener Autoren. Wenige Abbildungen, wie die unter Lautenisten bekannten Holzschnitte von Jost Ammann von 1568, illustrieren den gepflegten Band.
Die Fülle des von Dittrich aufgefundenen Materials bedingte eine Begrenzung auf den deutschsprachigen Raum. So ist die Abwesenheit etwa des bekannten Gedichtes My Lute awake von Sir Thomas Wyatt (1503–1542) oder der Gitarrengedichte aus dem Umfeld von Federico García Lorca (1898–1936) zu erklären. Ein ausführliches Nachwort erläutert Charakter und Genre der Texte und führt umsichtig in die Thematik ein. Dieser einmalige Band im Taschenbuchformat spricht Literaturliebhaber genauso an wie an der Dichtkunst interessierte Musiker, vorab natürlich Lautenisten und Gitarristen: eine Möglichkeit, das Wesen des eigenen Musikinstruments emotional noch tiefer zu erfassen.
Laute und Gitarre in der deutschsprachigen Lyrik. Gedichte aus sechs Jahrhunderten. Eine Anthologie, hg. von Raymond Dittrich, 346 Seiten, € 16.00, Engelsdorfer Verlag, Leipzig, 2015, ISBN 978-3-95744-394-6
2018 ist ein weiterer Band erschienen:
Laute und Gitarre in der deutschsprachigen Lyrik (Band 2). Mit einem Essay über die Lautengleichnisse des Prokop von Templin, hg. von Raymond Dittrich, 346 Seiten, € 16.00, Engelsdorfer Verlag, Leipzig, 2018, ISBN 978-3-96145-337-5