Pop im roten Gewand

Das deutsche Musikmagazin «Melodie & Rhythmus» hat sich einen neuen Anstrich verpasst. Ein kritischer Blick zeigt, dass die dabei abgegebenen Versprechen kaum eingelöst werden.

Ausschnitt aus dem Heft-Cover

«Melodie und Rhythmus liefert viele unkonventionelle und aussergewöhnliche Perspektiven auf populäre Musik», gibt Susann Witt-Stahl zu Protokoll. Die Chefredaktorin des 1957 in der DDR gegründeten Musikmagazins erklärt in der Tageszeitung junge Welt den neusten M&R-Relaunch. «M&R wird kritischer, politischer, rückt näher ans Zeitgeschehen und mischt sich in Kulturdebatten ein», ist anderswo zu lesen.

Einer differenzierten Betrachtung halten diese Versprechen jedoch nicht stand: Weder die Künstlerauswahl – von Bono-Nachfolger Rea Garvey bis zu den Indie-Casting-Juroren von den Kaiser Chiefs – noch die aufgeworfenen Analysen (eine Ausnahme ist Marcus Staigers Text über die Du-kannst-es-schaffen-wenn-Du-es-willst-Rhetorik im deutschen Rap) sind besonders kritisch und innovativ. Sprachlich setzt das Magazin kaum Akzente: Zu unterschiedlich ist das Niveau der Texte, zu viele Allgemeinplätze werden bedient. Damit wird aber nicht zuletzt auch die bereits länger anhaltende und weit über M&R hinaus grassierende Krise der Plattenkritik illustriert. Weshalb sind Stimmen eigentlich immer «glasklar» und was zur Hölle versteht man unter «musikalischer Ernsthaftigkeit»?

Auffallend ist das vom linken Designer-Kollektiv Rabotnik aus Kopenhagen in «zeitgemäss-marxistischer Ästhetik» (Susann Witt-Stahl) gestaltete Heft-Cover. Die Dänen haben auch dem Layout einen dezent roten Anstrich verpasst. Dies ist allerdings ebenso wenig eine grosse Revolution, wie die inhaltlichen Perspektiven hinterfragend in die Tiefe gehen: Dafür sind sie schlicht zu kurz. Gerade im Themenschwerpunkt «Popmusik und Klassenkampf» fällt dieser Mangel auf. Die gross angekündigte «Konferenz» mit dem britischen Musikkritiker Simon Reynolds ist nichts mehr als die Aufbereitung von neun Kurzstatements und der M&R-Fragebogen an Jan Delay kommt kaum über klischeehafte Fragen hinaus, die in ihrer Kürze belanglos werden und alles andere als «existentiell» sind, wie in der Einleitung behauptet.

Die Stärke und das Potenzial der neuen M&R zeigt sich im leicht kritischeren Abschnitt Standpunkte, wo die These «Popkultur ist ohne Kapitalismus nicht möglich» aus zwei Blickwinkeln diskutiert oder die griechische Musikszene – hier endlich etwas ausführlicher – unter die Lupe genommen wird. Vielversprechend ist auch die künftig in jedem Heft erscheinende Popsong-Analyse vom israelischen Kunsttheoretiker Moshe Zuckermann, der sich in dieser Ausgabe Miley Cyrus vorknöpft. Nicht zuletzt ist spannend, wie sich das Thema Klassenkampf durch das ganze Heft bis zur Rubrik der Live-Konzerte zieht. Ob das allerdings eher der linken Verortung des Magazins geschuldet ist oder einem neuen thematisch ausgerichteten Heftkonzept, wird sich spätestens bei der nächsten Ausgabe mit dem Schwerpunkt «Brasilien» zeigen.

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M&R Melodie und Rhythmus, Ausgabe Mai/Juni 2014; erscheint zweimonatlich, Einzelnummer € 4.90, Jahresabo Ausland € 36.90, Verlag 8. Mai, Berlin, www.melodieundrhythmus.com

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