Zur Kopplung von Hör- mit Sichtbarem

Christa Brüstle betritt in ihrem Buch «Konzert-Szenen» weithin unerforschtes Terrain, wo sich akustische und visuelle Phänomene überlagern.

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«Sichtbares, das selbst Hypostase der Musik, vermochte nun seinerseits musikalische Emanationen auszudünsten.» Von Dieter Schnebel stammt der gelehrte Satz, der ins Zentrum von Christa Brüstles Untersuchung führt. Grundsätzlich geht es um den Einbezug des Visuellen, wohlgemerkt fernab von Oper oder Musiktheater. Konzert-Szenen, der Titel der umfangreichen Abhandlung, ist aber letztlich mehr eine Verlegenheitslösung. Denn nicht nur Mauricio Kagels «Instrumentales Theater» oder Hans-Joachim Hespos´ Konzertrituale sind thematisiert, sondern auch viele visuell-akustische Spielarten abseits von Orchester- oder Ensemblepodien. Christina Kubischs Installationen kommen ebenso zur Sprache wie Body-Performances des Australiers Stelarc oder eine von Brüstle in Berliner Hinterhöfen miterlebte Aufführung von George Brechts «Event-Partitur» Water Yam (1959–63).

Es ist fraglich, ob das Themengebiet nicht zu gross ist, ob es überhaupt in einem Buch sinnvoll Platz finden kann. Brüstle bejaht letzteres und mutet so dem Leser einen gehörigen Schlingerkurs zu. Angesichts der Inkompatibilität der Phänomene ist ihre chronologische Darstellung nicht wirklich geeignet. Gerade der Einstieg, der die streng serielle Phase der frühen 1950er-Jahre behandelt, wirkt nicht überzeugend. Die Ausweitung serieller Parameter auf Raumeigenschaften tangieren zwar das im Untertitel des Buches angedeutete Thema «Bewegung». Aber mit der Integration des Sichtbaren, die im Zuge der «Verfransung der Künste» im Lauf der Sechzigerjahre explosionsartig zunimmt, scheint die Avantgarde der Fünfziger (noch) wenig zu tun haben zu wollen.

Zur Sache kommt Brüstle mit Mauricio Kagels «Instrumentalem Theater», wobei es hier weniger Forschungsbedarf gibt als zu «Wandelkonzerten», «Interaktion in Konzert und Klangkunst» oder «Musik mit Bild – Videokonzerte», den abschliessenden Themen der Darstellung. Allein Videokonzerte haben insbesondere seit den Neunzigerjahren ungeheuer an Bedeutung gewonnen. Brüstle schildert anhand von Carola Bauckholts Video zu In gewohnter Umgebung III für Video, Cello und (präpariertes) Klavier (1994) die vielfältigen Kombinationsmöglichkeiten von Hör- und Sichtbarem, die visuelle Verdoppelungen des Akustischen ebenso erlauben wie surrealistische Episoden oder Reibungen der Musik mit dem Sichtbaren. Wie verworren, ja diffus die Verhältnisse allein in der Videokunst sein können, belegen weitere Exkurse zur multimedialen Kunst von Erwin Stache und Susanne Stelzenbach.

Eine solche thematische Wucherung kann Brüstle bei ihrem fundamentalen Ansatz nicht in den Griff bekommen. Nur in groben Umrissen handelt sie viele Werke kursorisch ab, mehr deskriptiv als interpretierend. Insofern ist der über 400-seitige Wälzer Konzert-Szenen mehr zu einer opulenten Materialsammlung geworden, als dass er Zugang zu künstlerischer Multimedialität erleichtert. Dass Brüstle aber das weithin unerforschte Terrain so mutig betreten hat, bleibt ihr bei allen Vorbehalten unbenommen.

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Christa Brüstle: Konzert-Szenen. Bewegung, Performance, Medien. Musik zwischen performativer Expansion und medialer Integration 1950-2000, (=Beihefte zum Archiv für Musikwissenschaft, Band 73), 413 S., € 78.00, Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2013, ISBN 978-3-515-10397-8

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