Die Erhabenheit des kunsterfahrenen Canarienvogels

Dieses Buch kontrastiert Anekdoten von Händel, Bach, Telemann und Mozart mit dem Begriff des Erhabenen, den die Philosophen ihrer Zeit definierten.

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Wer hätte gedacht, dass mit dem Begriff «Erhabenheit» soviel Überraschendes, ja sogar Unernstes verbunden sein kann, wenn man sich das erhabene Zeitalter, das 18. Jahrhundert, aus heutiger Sicht vornimmt. Es verursacht keine Mühe, Händels imposante Gestalt und seine grossen Oratorien damit in Zusammenhang zu bringen oder Bachs komplexe Schöpfungen mit der anspruchsvollen, zu seiner Zeit wenig verstandenen Formensprache. Dass aber auch Telemanns Oratorium Der geduldige Socrates – das übrigens mehr als vier Stunden dauert – mit den Streitduetten der konkurrierenden Ehefrauen Xanthippe und Amitta zum Erhabenen gezählt wird oder seine Trauer-Music eines kunsterfahrenen Canarienvogels mit der an den Tod gerichteten Aufforderung «Friss, dass dir der Hals verschwelle», weckt auch bei jemandem, der nicht gerade Fan von Barockmusik ist, sofort die Lust weiterzulesen. Dies umso eher, als der Schreibstil dieses Buches trotz der nach Wissenschaftlichkeit riechenden 448 Anmerkungen jung und oft recht salopp wirkt, etwa wenn beim Thema «Krieg und Musik» die Argumente durch «eine ganz entscheidende Rast an der Tankstelle der Philosophie» eingeholt wurden oder wenn moniert wird, dass «Bachs Kantaten einem musikalischen Katastrophentraining» gleichen.

Da wird man neugierig auf das Kapitel, das in die Rokoko-Zeit hinüberreicht, auf «Mozart auf dem Weg zur Erhabenheit». Man will aber doch nichts von dem verpassen, was die Herren Händel, Bach und Telemann hergeben, denn «an welchen Begebenheiten und Konstellationen im Leben dieser vier Männer ihre eigentliche Erhabenheit lag, führt dieses Buch erstmalig vor». Das ist nicht übertrieben. Auf solche Weise ist man der Erhabenheit noch nie «zu Leibe gerückt». Wer hat schon Milos Formans „Amadeus“-Film danach abgehört und Mozarts (möglichen) Ausspruch, «so erhabene Leute, dass sie sich anhören, als ob sie Marmor scheissen», in engeren Zusammenhang gebracht? Dennoch werden seine drei letzten Sinfonien innerhalb dieses Strebens nach Erhabenheit betrachtet und, allerdings etwas moderner formuliert, von der musikalischen Avantgarde des 20. Jahrhunderts auch so gesehen.

Dies führt im Schlusskapitel «Der lange Weg der Erhabenheit – Von 1900 bis heute» anhand einer Reihe von Beispielen zu folgendem Fazit: «War Erhabenheit vormals Ausdruck von Würde, Pracht und moralischer Überlegenheit, wurde moderne Erhabenheit zum Aushalten von Überforderung und einem Lustempfinden, das ans Göttliche grenzt – zumindest was die psychologische Intensität des Gefühls angeht.» Womit die Ernsthaftigkeit wieder hergestellt wäre; aber ausgerechnet diese stellt der Druckfehler «erst» statt «ernst» (auf Seite 133) neuerlich in Frage.

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Markus Köhlerschmidt und Stefanie Voigt, Mit Pauken und Perücken. Die Lebenskünste der erhabenen Herren Händel, Bach, Telemann und Mozart. 167 S., € 24.90, Verlag Böhlau, Wien u.a. 2014, ISBN 978-3-412-21035-9

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