Knifflige Aufgabe

Mit Joseph Haydn schliesst Walter Wiese seine kammermusikalischen Erkundungen ab. Die Streichquartette stehen dabei im Zentrum.

Schloss Eszterházy, fast 30 Jahre Haydns Heimat. Foto: Civertan Grafikai Stúdio, wikimedia commons

Walter Wiese arbeitete als Jurist in Ministerien und bei der deutschen NATO-Vertretung. Daneben spielte er als Geiger intensiv in Kammermusik-Formationen. Seine Kammermusik-Bibliothek begann 2001 mit einem Band über Mozart. Es folgten: Tschechische Kammermusik, Schubert/Mendelssohn/Schumann/Brahms und Beethoven (besprochen in der SMZ 2011/4 S. 37). In seinem 80. Lebensjahr kommt als fünfter Band mit Haydn der Abschluss der Reihe. Das lange Zögern lässt sich verstehen durch die besonders knifflige Aufgabe: Es galt, unter der Fülle von Werken (u. a. 77 Streichquartetten, 45 Klaviertrios und 126 Barytontrios) eine Auswahl zu treffen und einer noch weitherum als natur- und volksverbundener Vielschreiber («Papa Haydn») oder als Wegbereiter unterschätzten Persönlichkeit gerecht zu werden.

Die Barytontrios schrieb Haydn für seinen Brotherrn, Fürst Nikolaus I. Esterházy, der das ausgefallene tiefe Streichinstrument leidenschaftlich gern spielte. Man mag bedauern, dass manche Perlen unter den Barytontrios (auf anderthalb Buchseiten) und 30 Klaviertrios pauschal übergangen werden. Im Ganzen jedoch ist es ein Vorteil, dass Wiese den Schwerpunkt auf die Entwicklung des Streichquartetts setzt, Haydns ein halbes Jahrhundert fortgesetzter bahnbrechender Leistung. Auch die Beschränkung auf die späten, in London entstandenen Klaviertrios ist zu begrüssen. Es erlaubt ein durch Notenbeispiele unterstütztes Eingehen auf individuelle Eigenschaften von Haydns vielgestaltigem Schaffen.

Die lebendige, durchaus persönliche Darstellung wird ergänzt durch geschickt zitierte, umfangreiche Sekundärliteratur. So reicht das Buch weit über einen Kammermusikführer hinaus. Es wird hohen Ansprüchen nicht nur von Amateuren, sondern auch von professionellen Ensembles gerecht. Wieses Erfahrung äussert sich in mancherlei praktischen Ratschlägen zur Temponahme (z. B. missverstandenes «Presto» bei Finalsätzen), zur Befolgung von Wiederholungen, zur Artikulation usw. Die – wie im Amadeus-Verlag gewohnt – höchsten qualitativen Ansprüchen genügende Ausstattung macht den Band zu einem wertvollen Geschenk.

Einzig Aspekte der Formenlehre, die ja bei Haydn besonders interessant und innovativ sind, kommen etwas zu kurz. Zwei Beispiele sollen genügen: Im ersten Satz des Klaviertrios in C Hob. XV/27 endet die Durchführung nicht nach der Generalpause auf der Dominante G-Dur: Dort beginnt eine Scheinreprise in überraschendem As-Dur ohne Modulation, die geistreich in Etappen zurückmoduliert, anders als im folgenden Klaviertrio. Auch im Streichquartett in Es op. 33 Nr. 2 bleiben der interessante Modulationsgang der Durchführung und der kurze Scheinreprisenbeginn in c-Moll vor der verkürzten Reprise unerkannt.

Eindrücklich dargestellt ist jedoch der verwinkelte Werdegang im Streichquartett-Schaffen. Jedes Opus, das ja meist sechs Quartette umfasst, erfährt zunächst eine treffende Charakterisierung, bevor Wiese auf die Einzelwerke eingeht. Packend geschildert ist die erstaunliche Entstehungsgeschichte der Sieben letzten Worte unseres Erlösers am Kreuz.

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Walter Wiese, Haydns Kammermusik, mit vielen Abb. und Notenbeispielen, 262 S., Fr. 56.00, Amadeus, Winterthur 2013, Best.-Nr: BP 2190, ISBN 978-3-905786-12-5

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