Globale Musik anno 2012
Ein Buch über die «Weltmusik 2.0» überrascht mit einer erfrischenden collageartigen Aufmachung.
Was geschieht, wenn ein Online-Magazin ein Buch herausgibt? Norient, das Berner Netzwerk für lokale und globale Sounds und Medienkultur, hat sich dieser Aufgabe gestellt und mit Out of the Absurdity of Life eine spannende musikalische Momentaufnahme unserer Welt vorgelegt. Die Herausgeber Theresa Beyer und Thomas Burkhalter bewegen sich darin irgendwo zwischen Wissenschaft, Journalismus und Blogkultur. Weder reiner Bildband noch Aufsatzsammlung oder Monographie ist das Buch alles zugleich: Reportagen, wissenschaftliche Analysen und Interviews wechseln sich mit Songtexten, CD-Covers, Konzertplakaten und Zitatschnipseln ab, mal auf Deutsch, mal auf Englisch. Die reichhaltige Collage ist nicht nur grafisch mit Liebe zum Detail umgesetzt, sie bringt dem Leser und der Leserin auch neue, überraschende Zugänge zu den popkulturellen Musikphänomenen unserer Zeit. Gleichzeitig wird die Aufmachung dem Umstand gerecht, dass sich «Weltmusik 2.0» schon lange nicht mehr nur auf Klänge und Töne reduzieren lässt.
Vom kamerunischen Bikutsi Pop über den kolumbianischen Paartanz Cumbia und den syrischen New Wave Dabke bis hin zur schrillen Partymusik des Voodoohop in São Paolo: Out of the Absurdity of Life porträtiert Facetten und Absurditäten einer globalen Klanggegenwart, fernab der eurozentristischen Ausrichtung der Neunzigerjahre. Das Buch geht der Frage nach, ob es einen speziellen Alpensound gibt, untersucht die Abwesenheit eines Soundtracks zur Occupy-Bewegung und zeichnet die kontroverse Geschichte der Musikethnologie nach. Es diskutiert provokative lateinamerikanische Kopulationstänze und liefert Einblicke in den globalen musikalischen Alltag. Weiter nimmt Norient die eigene Veröffentlichungsform als Online-Magazin kritisch unter die Lupe und thematisiert die post-kolonialen Problematiken der Blogkultur. Ganz analog bleibt das Buch nie und wird so zum eigentlichen YouTube-Guide. Was für das Online-Magazin vital ist, erweist sich auch bei der gedruckten Ausgabe als wertvolle Ergänzung.
Thomas Burkhalter beschreibt die «Weltmusik 2.0» als multi-lokale Pop-Avantgarde. Das Oszillieren der Musikstile zwischen Spass- und Protestkultur macht ein abschliessendes Urteil über Ernsthaftigkeit und Motivationen der Protagonisten oftmals unmöglich. Gerne würde man mehr solch präzise und überblickende Analysen lesen, und man vermisst kurze Zusammenfassungen der wissenschaftlichen Aufsätze. Ansonsten ist Out of the Absurdity of Life aber ein gelungenes und heterogenes Jahrbuch für alle Musikophilen dieser Welt. Wer weiss, vielleicht wagt Norient auch 2013 wieder den lohnenswerten Sprung aus der Onlinewelt auf die Druckmaschine?
Theresa Beyer und Thomas Burkhalter (Hrsg.), Out of the Absurdity of Life. Globale Musik, 328 S., CHF 36, Traversion, Deitingen 2012, ISBN 978-3-906012-03-2