Unverwechselbare Atmosphäre

1919 schrieb Egon Wellesz seine «Sechs Klavierstücke» op. 26. Nun sind sie erstmals gedruckt greifbar.

Egon Wellesz. Zeichnung von Rudolf Grossmann, 1924. Quelle: Vossische Zeitung vom 22. November 1924 / wikimedia commons

«Ich fühlte mich nie gedrängt, wenn ich zu komponieren begann, denn wenn mich ein Vorwurf fesselte, so war ich völlig im Bann der Ideen und schrieb meine Musik, ohne mich von etwas anderem aufhalten zu lassen.»

Egon Wellesz (1885–1974) war zeitlebens ein unabhängiger Geist. Sein mehr als hundert Opuszahlen umfassender Werkkatalog zeugt davon. Nebst viel Kammermusik und zahlreichen Sinfonien finden sich darin nicht weniger als elf Bühnenwerke. Stilistisch liess sich Wellesz nie festlegen. Seine frühen Drei Skizzen für Klavier op. 6 sind beispielsweise radikaler als alles, was sein Lehrmeister Arnold Schönberg bis zu diesem Zeitpunkt komponiert hatte. Andererseits bewegt sich sein Klavierkonzert op. 46 von 1931 in einem Feld zwischen Neobarock und Postromantik. Seine in England entstandenen neun Sinfonien bedeuteten für ihn «eine geistige Rückkehr zu seinen grossen Ahnen», was ihm seitens der Avantgarde heftige Kritik einbrachte.

Die Sechs Klavierstücke op. 26 hat nun die Universal Edition mehr als hundert Jahre nach ihrer Entstehung erstmals veröffentlicht. Auch sie zeigen, wie eigenständig Wellesz mit der Harmonik umgeht und wie er in der Lage ist, mit wenigen Noten sofort eine unverwechselbare Atmosphäre zu kreieren. Dies gilt ganz besonders für die beiden meditativen Nr. 1 (Tranquillo) und Nr. 3 (Lento). In Nr. 2 und Nr. 4 dominiert dagegen das spielfreudige, tänzerische Element.

Auch pianistisch sind die kurzen Stücke abwechslungsreich, jedoch im Allgemeinen recht anspruchslos. Nr. 4 erfordert allerdings eine flinke rechte Hand, wenn das vorgeschriebene Tempo auch realisiert werden soll. Und in Nr. 6 sind grosse Hände von Vorteil, falls man die weitgriffigen Akkorde in ihrer dramatischen Wirkung nicht durch Arpeggieren mildern möchte. Gerade dieses Stück weist über das Klavier hinaus; und Wellesz hat das thematische Material später auch für seine Oper Alkestis verwendet.

Im Anhang dieser Erstausgabe findet sich noch ein weiteres Klavierstück zu Opus 26, dessen Schicksal genau das gegenteilige war. Wellesz hat es aus nicht ganz unverständlichen Gründen verworfen. Hier sind die musikalischen Ideen tatsächlich zu kurzatmig, der Funke will nicht so recht springen.

Insgesamt sind die Sechs Klavierstücke op. 26 aber «definitiv eine Bereicherung der Klavierliteratur der Wiener Schule», wie Herausgeber Hannes Heher im Vorwort zu Recht feststellt.

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Egon Wellesz: Sechs Klavierstücke op. 26, Erstausgabe von Hannes Heher, UE 38225, € 19.95, Universal Edition, Wien

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