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Zur späten Renaissance von Joachim Raff (1822–1882) trägt jetzt eine umfangreiche Biografie wesentlich bei.

Raff 1878. Fotografie von Mondel & Jacob, Library of Congress’s Photographs division

Seine Sinfonik beeindruckte einst Liszt, Tschaikowsky, Mahler und Richard Strauss, dennoch hielt die Erinnerung an ihn nur eine Miniatur wach, die Cavatina op. 85 Nr. 3 für Violine und Klavier. Sie trug den Namen des Komponisten in alle Welt hinaus und musste sich unzählige Bearbeitungen gefallen lassen. Als sein erfolgreichstes Stück versperrte sie den Blick auf das vielseitige Gesamtwerk mit 216 Opuszahlen fast ein Jahrhundert lang, wo Raff doch bei Lebzeiten zu den am häufigsten aufgeführten Komponisten deutsch-schweizerischer Herkunft gezählte hatte.

Seit 1972 setzt sich die Joachim Raff-Gesellschaft in Lachen SZ, wo der Musiker als Sohn eines Deutschen und einer Schweizerin geboren wurde, für den besonders von Liszt und Hans von Bülow geförderten Komponisten, Pianisten, Bearbeiter und Musikpädagogen ein. Ihr Präsident Res Marty legt jetzt das Resultat mehrjähriger Recherchen in Archiven, Bibliotheken und Museen vor. Das bescheiden als Biografie bezeichnete, fast drei Kilos schwere Buch ist weitaus mehr als eine solche. Es gleicht einer gewichtigen Kulturgeschichte der deutschen Romantik. Der Autor vereinigt unveröffentlichte Dokumente von Goethe, Mendelssohn Bartholdy, Liszt und Wagner bis zu Hans von Bülow, Richard Strauss und Ibsen mit einer stattlichen Zahl neuer Einsichten.

Bezüglich Format, Bilderreichtum und Informationsdichte nur mit den Chopin, Liszt und Schumann gewidmeten «Lebenschroniken in Bildern und Dokumenten» von Ernst Burger und mit dem vierbändigen Werk über Ernest Bloch von Joseph Lewinski und Emmanuelle Dijon vergleichbar, stellt das 440 Seiten mächtige Buch innerhalb der Biografien von Schweizer Komponisten die umfangreichste Publikation dar. Der Berufsberater und Sänger Res Marty hat als musikforschender Quereinsteiger ein Standardwerk über Raff geschaffen.

Es ist zu hoffen, dass die darin reproduzierten und klug kommentierten Empfehlungsschreiben und Rezensionen u. a. von Mendelssohn Bartholdy und Schumann zur längst fälligen Überwindung der Vorurteile renommierter Dirigenten und Konzertveranstalter beitragen werden. Mit programminspirierten Hauptwerken wie der 3. Sinfonie Im Walde, der 5. Sinfonie Lenore, dem auf Rachmaninow vorausweisenden Klavierkonzert c-Moll op. 185 oder den vier Orchestersuiten verdient es der raffiniert instrumentierende Mitarbeiter an Liszts sinfonischen Dichtungen, endlich wieder regelmässig aufgeführt zu werden.

Die meisten unveröffentlichten Dokumente stammen aus der Bayerischen Staatsbibliothek München. Als leidenschaftlicher Forscher und Sammler steuerte Res Marty viele biografisch aufschlussreiche Briefe und weitere Trouvaillen bei.

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Res Marty, Joachim Raff. Leben und Werk, mit einem Beitrag von Bernhard Billeter, 440 S., Fr. 69.00, MP Bildung, Beratung und Verlag AG, Altendorf SZ 2014

Bild auf dem Buchumschlag:
Portrait des ersten Direktors des Hoch’schen Konservatoriums von Frankfurt: Joseph Joachim Raff, Heinrich Georg Michaelis, 1882, Öl auf Leinwand, ungerahmt. Das Porträt wurde bei der Recherche für diese Publikation im Archiv des Historischen Museums Frankfurt wiederentdeckt, identifiziert und wird in dieser Publikation erstmals veröffentlicht. (historisches museum frankfurt / Foto: Horst Ziegenfusz)

Joachim-Raff-Gesellschaft

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