«Wir wollen die Fenster weit offen lassen und jeden Provinzialismus vermeiden.»
Paul Sacher, in: Musikakademie Basel, Jahresbericht 1964/65

An Bedeutungen ist es sehr reich, wenn nicht unerschöpflich: das Wort «Kultur». Es findet sowohl in Bezug auf die höchsten menschlichen Werte und Betätigungen als auch die belanglosesten Dinge eine geradezu inflationäre Verwendung. Nicht von ungefähr setzen sich Soziologen, Sprachforscher, Philosophen und Kulturwissenschaftler im Rahmen tagelanger Symposien mit der Grenzenlosigkeit dieses einst vergeistigten Begriffs auseinander. Doch die Resultate hinterlassen kaum Spuren in unserem alltäglichen Leben. Kulturelle Symposien, schrieb Claudio Magris einmal, sind die Negation des Lebens, das ein offener Seehafen ist.

Begibt man sich auf die gedankliche Reise, entdeckt man, auf wie viele Dinge mit dem Wort «Kultur» verwiesen wird: Orchesterkultur, Museumskultur, Cafékultur, aber auch Fussballkultur, Stammtischkultur, Unterhaltungskultur und viele mehr. Manche dieser Kulturen dienen auf vorzügliche Weise der Zerstreuung, von der wiederum ganze Industriezweige leben. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk in Deutschland, im folgenden Fall der Südwestrundfunk (SWR), ist von solchen Trends offenbar nicht ausgenommen. Wenn aber «seine» beiden Orchester fusioniert werden, unterläuft der Sender ausgerechnet das, was ihn eigentlich vom kommerziellen privatrechtlichen Rundfunk abheben sollte: die sogenannte Hochkultur.

Das SWR Sinfonieorchester und die Schweiz

Weit über 40 Konzerte hat das SWR SO seit seiner Gründung 1946 in der Schweiz gegeben, in Zürich, Basel, Genf, Lausanne, Montreux, Bern, Lugano, Locarno, St. Gallen und Luzern. Erst letztes Jahr war es wieder im Rahmen des Lucerne Festival zu hören, mit Werken von Ligeti, Czernowin, Wyschnegradsky und Georg Friedrich Haas. Zwischen dem Orchester und der Schweiz besteht seit den Fünfzigerjahren ein überaus lebendiger wechselseitiger Austausch. Indem es einerseits oft in der Schweiz gastiert, andererseits im Ausland Schweizer Werke zu Gehör bringt, hat unser zeitgenössisches Kulturleben eine internationale Öffnung erfahren.

Zu den Schweizern, deren Werke im Nachkriegsdeutschland erstmals dank des SWR SO (vormals SWF) erklangen, zählt neben Conrad Beck der damals 31-jährige Jacques Wildberger, dessen Tre Mutazioni für Kammerorchester 1953 unter der Leitung von Hans Rosbaud in Donaueschingen uraufgeführt wurden. Auch Pierre Boulez setzte sich für Wildbergers Musik ein: 1958 brachte er in Aix-en-Provence Intensio – Centrum – Remissio mit dem SWF-Sinfonieorchester zur Uraufführung. Fünf Jahre später dirigierte Boulez die Uraufführung von Wildbergers Oboenkonzert. Solist war der 24-jährige Heinz Holliger, dessen Glühende Rätsel auf Gedichte von Nelly Sachs 1964 bei den Donaueschinger Musiktagen uraufgeführt wurden. 1970 fand dann die Uraufführung von Holligers Pneuma für Bläser, Schlagzeug, Orgel und Radios statt. Der Komponist selbst sass am Pult der ersten Oboe; einige Musiker waren wegen angeblicher Unzumutbarkeit der Spieltechniken abgesprungen.

Zahlreiche weitere Schweizer Werke erklangen zum ersten Mal in Konzerten des SWR SO, mehrheitlich in Donaueschingen, aber auch in der Schweiz, beispielsweise Changements pour grand orchestre von Rudolf Kelterborn. Die einem szenisch-dramatischen Denken entsprungene, überaus expressive Partitur ist Ernest Bour gewidmet, der sie im September 1973 im Rahmen des Festival de Musique de Montreux mit dem SWF-Sinfonieorchester aus der Taufe hob.

Nicht zuletzt hat das SWR SO auch in Frankreich einige Werke von Schweizer Komponisten uraufgeführt, etwa Michael Jarrells Paysages avec figures absentes (Nachlese IV) im Oktober 2010 in Strasbourg (Festival Musica). Der Titel dieses Werkes für Violine und Orchester geht zurück auf das gleichnamige Buch des aus Moudon (Waadt) stammenden Lyrikers und Essayisten Philippe Jaccottet.

Viele weitere Schweizer Orchesterwerke, die durch das SWR SO uraufgeführt wurden, verdienen hier besondere Beachtung, doch müssen wir uns aus Platzgründen auf ihre Erwähnung beschränken: Jacques Guyonnet Monades III (1961), Jürg Wyttenbach Anrufungen und Ausbruch für Holz- und Blechbläser (66), Hans-Ulrich Lehmann Rondo für Stimme und Orchester (68), Thomas Kessler Klangumkehr 85:4 für Orchester und elektronische Instrumente (76), Conrad Beck Konzert für Bläserquintett und Orchester (77), Ulrich Stranz Musik für Klavier und Orchester (78), Gérard Zinsstag Foris (79), Christoph Delz Siegel op. 3 (80) und Im Dschungel (83), Ulrich Gasser Steinstücke II für kleines Orchester (80), Heinz Holliger Scardanelli-Zyklus für Soloflöte, gemischten Chor, kleines Orchester und Tonband (85), Hans Wüthrich Wie in einem sehr grossen Schiff oder Fisch und Flexible Umrisse, beide Werke «für autonom kybernetisch sich selbst regulierendes Orchester ohne Dirigenten» (85), André Richard Echanges für Orchester und Live-Elektronik (88), Michael Jarrell …d’ombres lointaines… pour voix et grand orchestre (90), Hanspeter Kyburz Malstrom für grosses Orchester in 4 Gruppen (98), Laurent Mettraux’ Ombre (99), Beat Furrer Orpheus’ Bücher für Chor und Orchester auf Texte von Pavese, Ovid und Vergil (2001) sowie Apon für Orchester und Sprechstimme (09), Klaus Huber Die Seele muss vom Reittier steigen für Violoncello, Bariton, Kontratenor und 2 Orchestergruppen (02) sowie Quod est pax? – Vers la raison du coeur… (07), Bettina Skrzypczak Initial (EA Warschauer Herbst 07), Isabel Mundry Ich und Du für Klavier und Orchester (08).

Am Anfang war die Zahl

In einer Sitzung des SWR-Rundfunkrats (1) am 2. Juli 2010 gab SWR-Intendant Peter Boudgoust bekannt, dass der SWR bis zum Jahr 2020 rund 15 Prozent seiner Kosten einsparen müsse, und zwar durch einen «strategischen Sparkurs». Boudgoust erklärte, dass man auf das «Rasenmäherprinzip» verzichten wolle, also nicht überall in gleichem Umfang Gelder kürzen werde. Man werde dort sparen, wo Sparen möglich ist, ohne das Programm zu schädigen. «Dadurch können wir dort leistungsfähiger sein, wo wir auf keinen Fall Abstriche machen dürfen.» Die Bedeutung seiner vagen Aussage wurde erst im Februar 2012 bekannt: Für die beiden Orchester des SWR in Baden-Württemberg gilt der allgemeine Sparkurs von 15 Prozent nicht, nein – die Orchester trifft es wesentlich härter: 25 Prozent diktierte man ihnen als Sparziel. Die SWR-Budgets beider Orchester liegen derzeit bei insgesamt etwa 20 Millionen Euro jährlich, also möchte man im Jahr 2020 ein Sparvolumen von 5 Millionen Euro erreicht haben. (2) Mit diesen Zahlen gewappnet, trat der SWR im Februar 2012 an die Öffentlichkeit. Der Weg zur Einsparung der 5 Millionen Euro sollte über eine Fusion der beiden SWR-Orchester erreicht werden.

Auf der Frankfurter Musikmesse fand am 28. März 2012 eine Podiumsdiskussion zur Fusionsidee statt, eine der wenigen öffentlichen Diskussionen mit dem Intendanten sowie dem inzwischen pensionierten SWR-Hörfunkdirektor Bernhard Hermann. Die beiden wurden von Vertretern der Neuen Musikzeitung, des Deutschen Musikrats und der Deutschen Orchestervereinigung zur Rede gestellt. So sehr auch präzise gefragt wurde, brillierten Boudgoust und Hermann dadurch, dass sie mit vielen schönen Worten eher wenig Konkretes verlauten liessen: Es gehöre zu einer Kultur der Diskussion, die im Namen der Kultur geführt wird, dass man nicht mit falschen Begriffen arbeite, war eine der Pauschalphrasen des Intendanten. Er riet seinen Gesprächspartnern, dass man «nicht von vornherein Positionen festlegen» dürfe, es gehe in der Diskussion vielmehr um «Differenzierung» und um «Zwischentöne». Abgesehen davon, dass er sich mit diesen Worten zunächst auf die (seiner Meinung nach) falsche Rubrizierung der beiden SWR-Orchesterprofile im Feuilleton bezog, können solche Aussagen als zweifelhafte Gesprächstaktiken verbucht und im Nachhinein auch getrost als Deckmantel der Realität entlarvt werden:

Bereits im Herbst 2010 nämlich hatte der SWR in einem «interaktiven Prozess» hinter verschlossenen Türen Möglichkeiten eruiert, um beide Orchester vor dem Hintergrund des Sparziels «weiterzuentwickeln». Daran beteiligt waren die SWR-Hörfunkdirektion (3), SWR-Orchestermanager und externe Berater, unter anderem die in München ansässige Metrum Managementberatung GmbH. (4) Was sich hinter den Kulissen genau abgespielt hat, ist für Aussenstehende schwer nachzuvollziehen. (5) Wahrscheinlich ist jedoch, dass der Intendant bereits zu einem sehr frühen Zeitpunkt mit einem Fusionsprodukt geliebäugelt hatte, das SWR-intern als «Spitzenorchester plus» bezeichnet wird. Die Grundidee dieser «Strukturoption» besteht darin, dass beide Orchester im Jahr 2016 zu einem grossen Orchester am Standort Stuttgart fusionieren. Dieses Fusionsorchester soll sich dann, so heisst es in einem SWR-Papier, national und international als Spitzenorchester positionieren. Doch ist dieses Modell reine Illusion. Fachleute haben mehrfach und übereinstimmend darauf hingewiesen, dass die unterschiedlichen Profile der beiden Orchester nach ihrer Fusion nicht nebeneinander weitergeführt werden könnten und ihre Qualitäten dadurch verloren gingen (einmal ganz abgesehen davon, dass man das Sparziel im vorgegebenen Zeitraum höchstwahrscheinlich nicht erreichen wird und die geplanten 90 Konzerte jährlich kaum machbar sein dürften). Während das RSO Stuttgart tendenziell dem etablierten Repertoire verpflichtet ist, gilt das SWR SO Baden-Baden und Freiburg als das Orchester für zeitgenössische Musik schlechthin. (6)

Stiftung des öffentlichen Rechts

Die Vorstände beider Orchester wurden im Frühjahr 2011 unter der Bedingung absoluten Stillschweigens durch den Hörfunkdirektor rudimentär über die Fusionspläne informiert. Protestbekundungen hat die SWR-Führungsspitze auf diese Weise bereits im Keim erstickt. Die Fusionspläne wollte der SWR offenbar schnellstmöglich voranbringen. (Dass die Orchestervorstände den Plänen überaus abgeneigt waren und weiterhin auch sind, braucht nicht erwähnt zu werden.) Auch 2012 hat der SWR den Weg des geringstmöglichen Widerstands gewählt, um unbeirrt auf die Fusionsentscheidung zusteuern zu können:

Die Zeit zwischen der Bekanntmachung des Fusionsvorhabens im Februar 2012 und dem Fusionsbeschluss am 28. September 2012 durch den Rundfunkrat war denkbar kurz. Ein Gedanke drängt sich geradezu auf: Wenn die SWR-Führungsspitze die beiden Orchester wirklich hätte retten wollen, so hätte sie die Fusionsentscheidung sicherlich bis zum Frühjahr 2013 zurückstellen können, worum der Intendant mehrfach ausdrücklich gebeten worden war. Denn auf der «anderen» Seite bemühte man sich intensiv um die Rettung der Orchester. Vertreter des SWR SO Orchestervorstands sowie der Freunde und Förderer des Orchesters etwa präsentierten bereits am 14. Juni 2012 vor dem Hörfunkausschuss einen Zukunftsplan für das SWR SO Baden-Baden und Freiburg. Er beruhte auf einem Kuratorenmodell mit potenzieller Beteiligung badischer Städte, der EU, dem Elsass und der Nordwestschweiz und sah dadurch eine starke Verankerung in der trinationalen Metropolregion Oberrhein vor. In der Politik hatte die Idee noch im gleichen Monat ersten Zuspruch gefunden.

Abgesehen von diesem frühen Entwurf entwickelte Friedrich Schoch, Professor an der Universität Freiburg und Direktor des dortigen Instituts für Öffentliches Recht, ein Konzept zu einer Stiftung des öffentlichen Rechts. Es handelt sich dabei um eine Organisationsform, von welcher etwa die Berliner Philharmoniker (seit 2002) und die Bamberger Symphoniker (seit 2005) getragen werden. Für eine Zuschussstiftung wäre kein grosses Anfangsvermögen notwendig. Ein Unterstützerkreis, der vom Verein der Freunde und Förderer des SWR SO derzeit aktiv erweitert wird, könnte zum Gelingen des Plans erheblich beitragen. All jene, denen der Erhalt des SWR SO am Herzen liegt, sind aufgefordert, über einen definierten Zeitraum verbindlich einen frei wählbaren Betrag zu spenden. (7) Des Weiteren muss langfristiger finanzieller Rückhalt durch Sponsoring gegeben sein, aber auch politischer Rückhalt, insbesondere durch den Ministerpräsidenten des Landes Baden-Württemberg, damit sich der SWR auf das Stiftungsmodell einlässt. Träger der Stiftung wären dann das Land Baden-Württemberg, die Stadt Freiburg sowie weitere Städte und Gemeinden – und selbstverständlich der SWR. Doch auch hier herrscht nach wie vor Ablehnung, die der Intendant damit rechtfertigt, dass die Mitträgerschaft des Rundfunks in einer solchen Stiftung «juristisch hochproblematisch» sei – de facto aber ist sie rechtlich zulässig und realisierbar. Es müsste nur über die konkrete Umsetzung dieses Plans gesprochen werden. Doch am Planungstisch vermisst man den SWR bislang.

Fusionsbeschluss ist revidierbar

Zum jetzigen Zeitpunkt ist es durchaus noch möglich, die vom SWR forcierte Fusionsentscheidung zu revidieren. Dazu ist es an der Zeit, dass die Empörung, die Abertausende von Menschen vor allem in Deutschland, Frankreich, der Schweiz und den USA in sich tragen, erneut ihre Wirksamkeit entfaltet! Insbesondere diejenigen, denen kultureller Kahlschlag widerstrebt, sollten sich durch unredliche Argumentationsmethoden weniger Fusionsbefürworter nicht von dem vernünftigen Gedanken abbringen lassen, dass der Fusionsbeschluss rückgängig gemacht werden kann.

Auch gilt es, die Argumente vonseiten des SWR nicht einfach hinzunehmen, sondern kritisch zu hinterfragen, so zum Beispiel jene des damaligen Hörfunkdirektors Bernhard Hermann: «Die Überlegungen zur Zukunftssicherung der Orchester», schrieb er in einer Stellungnahme, «basieren auf der finanziellen und demografischen Entwicklung der vergangenen Jahre. Seit Mitte der 90er-Jahre öffnet sich die Schere zwischen den Einnahmen und Ausgaben immer weiter. Zum ersten Mal in der Geschichte des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ist der SWR in einer Situation, in der der Sender weniger Geld zur Verfügung hat als in den Vorjahren. Wir erwarten bis 2020 eine finanzielle Lücke von 166 Mio. Euro.» Mit genauen Angaben hat der Hörfunkdirektor diese Sätze nicht untermauert. Ausserdem ist kürzlich bekannt geworden, dass der Sender nicht etwa über niedrigere, sondern über höhere Einnahmen verfügen wird. (8)

Es fällt auf, dass die Diskussion vonseiten des SWR fast ausschliesslich unter ökonomischen Vorzeichen geführt wird. (9) Und wenn der Intendant dann doch in musikalischer Hinsicht zu argumentieren versucht, sorgt er durch populistische Statements für neuen Unmut: «Ich mag Dmitri Schostakowitschs Sinfonie Nr. 5 d-Moll. Besonders wenn es einem Orchester gelingt, die Balance zu halten zwischen den aufbrausenden Momenten und den intimen Stellen. Und ich mag Fussball. Die Sportschau ist ein Muss […]. Ich möchte mich in diesem Sinne auch weiterhin begeistern lassen von packenden Fussballmomenten und von Schostakowitschs Meisterwerken. Zum Beispiel bei einem Konzert der Deutschen Radio Philharmonie Saarbrücken Kaiserslautern. Eines Klangkörpers, der aus dem Rundfunksinfonieorchester Saarbrücken des Saarländischen Rundfunks und dem Rundfunkorchester Kaiserslautern des SWR hervorgegangen ist. Ein fusioniertes Orchester, das in den Feuilletons hochgelobt wird. Es geht also doch.» (10)

Geförderte geistige Verflachung

Die Argumente für den Erhalt beider Orchester beziehungsweise gegen ihre Fusionierung sind so zahlreich, dass sie hier nicht gebührend ausgeführt werden können. Lassen wir daher einige prominente Stimmen zu Wort kommen! Sir Simon Rattle: «Sie sind dabei, mit diesem Plan Ihre beiden exzellent aufgestellten Klangkörper in eine künstlerische Sackgasse zu schicken.» Deutliche Worte fand auch Helmut Lachenmann, als er von einer «gedankenlos geförderten geistigen Verflachung» sprach. Abschätzig blickt er auf die Entscheidungsträger der Fusion: «Ich sehe in solch zerstörerischem Vorgehen von unsere Kultur in den Griff nehmenden Managern ein Symptom jener endlich zu behebenden Unaufgeklärtheit in Sachen Kunst.» Pierre Boulez zeigte sich fassungslos in einem Brief an den Intendanten: «Dieses Orchester [das SWR SO] ist seit mehr als 60 Jahren Garant einer wahrhaft exzeptionellen Musikkultur und insbesondere der Interpretation zeitgenössischer Kompositionen auf dem denkbar höchsten technischen wie musikalischen Niveau. Es scheint mir daher völlig unvorstellbar, dass dem deutschen wie dem internationalen Musikleben ein so vitaler und exzellenter Partner mit einzigartigem Profil genommen würde. Ich halte dieses Orchester für schlicht unersetzbar, und der Verlust wäre nicht wieder gut zu machen – das, was in vielen Jahrzehnten mit grösstem Engagement dort erarbeitet worden ist, lässt sich weder ersetzen noch transferieren noch irgendwann einmal nachholen.» Und Norbert Lammert, Präsident des Deutschen Bundestages, warnte in einem Interview mit der Badischen Zeitung: «Mich überzeugt diese Art der Sparbemühungen überhaupt nicht, weil es einmal mehr die Suche nach Einsparungsmöglichkeiten genau in dem Bereich ist, der die Gebühren rechtfertigen könnte.»

Anmerkungen

  1. Die Rundfunkräte der öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten Deutschlands sind als oberste Aufsichtsgremien für die Programmkontrolle ihres jeweiligen Senders zuständig. Zu den Aufgaben eines Rundfunkrats gehört vor allem die Überwachung der Einhaltung öffentlich-rechtlicher Programmgrundsätze. In der Vergangenheit standen die Rundfunkräte in Deutschland wiederholt in der Kritik aufgrund ihrer staatsnahen Zusammensetzung.
  2. Der SWR wendet nach eigenen Angaben etwa 6,5 Prozent seiner gesamten Programmmittel für folgende Institutionen auf: SWR SO, RSO Stuttgart, SWR Vokalensemble, das Experimentalstudio des SWR für elektronische Musik in Freiburg und die SWR Bigband. Zudem wird die Deutsche Radiophilharmonie Saarbrücken Kaiserslautern gemeinsam von SWR und SR (Saarländischer Rundfunk) getragen.
  3. Die Hörfunkdirektion – der für die Orchesterfusion erheblich mitverantwortliche Hörfunkdirektor Bernhard Hermann ist seit Sommer 2012 pensioniert – verantwortet die Radioprogramme, die der SWR für die Bundesländer Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz ausstrahlt: Abendprogramm in SWR1, Informationsradio SWRinfo, Kulturprogramm SWR2 und die sogenannte SWR3 PopUnit, darunter auch der Sender DASDING. Zitat Boudgoust am 02. 07. 2012: «Gerade bei DASDING machen wir jetzt eher noch zu wenig, hier werden wir gezielt stärker werden müssen, um das Publikum von morgen nicht zu verlieren.» SWR3 und DASDING sind vom «generellen» Sparkurs komplett ausgenommen! Der Hörfunkdirektion zugeordnet sind auch die beiden SWR-Orchester.
  4. Diese Informationen gehen auf eine Präsentation zurück, die in einer Sitzung des Hörfunkausschusses (Ausschussgremium des Rundfunkrats) am 15. 03. 2012 gezeigt wurde. Traktandum der Sitzung war die «strategische Weiterentwicklung» von SWR SO Baden-Baden und Freiburg sowie RSO Stuttgart.
  5. Zur Verschleierung der Fakten trägt der SWR in eigener Sache bei, indem er den Zeitstrahl mit wichtigen Terminen zur Orchesterzukunft auf www.swr.de/zukunft erst mit dem 3. Februar 2012 (Information Verwaltungsrat) beginnen lässt. Es wird dringend Zeit, dass der SWR zu den 2010 anlaufenden Arbeitsprozessen im Hinblick auf die Fusion Transparenz herstellt. So würde er nicht zuletzt unvollständiger und verzerrter Berichterstattung entgegenwirken.
  6. Zahlreiche «Schlüsselwerke» des 20. Jahrhunderts wurden durch das SWR SO (vormals SWF) uraufgeführt, darunter Pierre Boulez’ (bald wieder zurückgezogene Partitur) Polyphonie X und Pli selon Pli (Portrait de Mallarmé), Messiaens Reveil des Oiseaux und Chronochromie, Metastaseis von Xenakis, Pendereckis Anaklasis, Ligetis Atmosphères und Lontano, Luciano Berios Sinfonia und Heinz Holligers Scardanelli-Zyklus, um nur einige wenige zu nennen.
  7. Weitere Informationen finden Sie im Internet unter http://www.freunde-swr-so.de sowie unter http://www.stiftung-so.de/ihr-beitrag.html.
  8. Anlässlich einer Sitzung der ARD-Intendanten am 27. November 2013 in Leipzig wurde bekannt, dass sich aufgrund des neuen Rundfunkbeitrags (eingeführt am 01. 01. 2013 bei gleichzeitiger Ablösung der früheren geräteabhängigen Rundfunkgebühr) ein erheblicher Zuwachs der Einnahmen für ARD, ZDF und Deutschlandradio abzeichnet.
  9. Als Beispiel sei hier aus Platzgründen nur die Reaktion Boudgousts auf den am 12. 11. 2013 in der FAZ veröffentlichten Brief von 160 Dirigenten angeführt: «Sehr geehrte Damen und Herren, es ist durchaus verständlich, dass Sie gegen die Fusion zweier Orchester Ihr Wort erheben. Denn: Ja, es wird ab 2016 in Deutschland ein Orchester weniger geben.» Dieser Satz zeigt beispielhaft, wie der Intendant auf inhaltlich-künstlerische Forderungen nur in ökonomischer Hinsicht antwortet. Er argumentiert quantitativ («ein Orchester weniger»), stets auf die bis heute nicht vollständig offengelegten finanziellen Rahmenbedingungen verweisend.
  10. Die Zeit, Nr. 14/2012