Il deliberato, il curioso, il disperso

Die Donaueschinger Musiktage standen vom 16. bis 18. Oktober im Zeichen des Abschieds und (baldigen) Neuanfangs.

Acht Posaunen in einer Kirche – das klingt gut. Raumfüllend, unterstützt durch längere Nachhallzeiten, entfaltet sich der Klang dieser Präambel, die der österreichische Komponist Georg Friedrich Haas schrieb für die Trombone Unit Hannover. Haas ist ein Detailfanatiker. Ausgeklügelte mikrotonale Klangwelten kontrolliert er wie kaum ein anderer. Was viele als blosses Ornament betrachten, das wird im Sinne der haasschen Musique spectrale zur kompositorischen Hauptsache: die feinen Zwischentöne zwischen innerhalb eines Halbtonschritts also, jene Viertel-, Sechstel- und Achteltöne, für die sich eine stufenlos intonierende Posaune besser eignet als eine Kirchenorgel.

Dieses Eröffnungskonzert nahm die Donaueschinger Musiktage symbolisch vorweg. Als Stätte von Beerdigung und Hochzeit steht der Aufführungsort Kirche für Abschied und Neuanfang. Hier der traurige Abschied vom 2014 verstorbenen bisherigen Festivalleiter Armin Köhler. Dort der hoffnungsvolle Beginn der Amtszeit von Björn Gottstein als neuer Kurator der Donaueschinger Musiktage. Gottsteins Handschrift zeigt sich noch nicht in musikalischer Hinsicht. Bis 2017 stehen die Programme weitestgehend fest – auch weil grosse Ensemble- und Orchesterpartituren ihre Zeit brauchen. Danach will Gottstein eine stärkere internationale Ausrichtung der Musiktage, die bisher zu mitteleuropäisch geprägt seien. Zudem sollen Komponistinnen stärker in den Vordergrund rücken – angesichts dessen, dass in diesem Jahr nur Olga Neuwirth vertreten war, ein verständliches und lobenswertes Anliegen.

Zu wenig Überzeugendes

Olga Neuwirths Raumkomposition Le Encantadas o le avventure nel mare delle meraviglie für sechs im Raum verteilte Ensemblegruppen, Samples und Live-Elektronik löste nicht alles ein, von dem die Komponistin im Programmbuch berichtet hatte. Im 70-minütigen Werk sollte es um elektronische Imitationen bestimmter Raumwirkungen gehen; etwa derjenigen der venezianischen Kirche San Lorenzo. Trotz enormem technologischem Aufwand ist das kaum nachvollziehbar. Schon gar nicht für den, der direkt neben einem der vielen Lautsprecher sitzt und nicht in der Mitte des Saales. Dass ein interessantes Konzept klanglich nicht eingelöst wird, ist nichts Neues. In anderer Hinsicht überzeugte Neuwirths Komposition: in der feinen Klangarbeit, im Sinn für Entwicklung und auch durch erhabene Raumwirkungen, die an den von Neuwirth erwähnten Prometeo Luigi Nonos erinnern.

Hohe Kunst war dieses Jahr Mangelware. Wenn von 18 Uraufführungen nur maximal drei gute Werke herausspringen – darunter Mark Bardens fantastisches aMass für verstärktes Ensemble, Mark Andrés Klarinettenkonzert circa und eben Neuwirths Komposition –, dann ist das zu wenig. Besonders gross war die Enttäuschung bei den Orchesterkonzerten. Warum sich der italienische Komponist Francesco Filidei derart kindisch auf Johann Sebastian Bach bezog, bleibt sein Geheimnis. Filidei schreibt, er wollte das Perfekteste, was er auf Erden kenne, bei den Hörnern packen und angreifen. Killing Bach nennt er sein kurioses Orchesterwerk, das irgendwo im Niemandsland zwischen Collage, Zitatkomposition und Dekonstruktion versandete – aber letztlich wenigstens einem im Gedächtnis bleibt: dem Masochisten.

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«Freiheit – die eutopische Gesellschaft» von Patrick Frank. Foto: Foto: swr/Astrid Karger

Komplex mit offenen Fragen

Die Donaueschinger Musiktage haben einen Laborcharakter. Das Scheitern eines Experiments ist hier schon mal möglich, zwar nicht gewünscht, aber doch erlaubt. Grössere Probleme gibt es, wenn schon der Versuchsaufbau vage ist, wenn sich Komponisten verrennen in Fragwürdiges, wenn sie den Mangel einer guten Idee kompensieren durch die Häufung blosser Einfälle, die eben – siehe Neuwirth – gern im Gewand des überbordend Theoretischen erscheinen. Wuchernden Charakter hat auch Patrick Franks umfassendes Machwerk Freiheit – die eutopische Gesellschaft. Der 1975 in Rio de Janeiro geborene, aber schon lange in der Schweiz lebende Komponist integriert kulturtheoretische Lesungen, dazu gibt es eine Wohlfühloase mit Wellnessangeboten in Form von Massagen, dazu wiederum diverse Bildschirme, die Zitate bedeutender Schriftsteller zeigen, aber auch über per App gesteuerte Publikumsreaktionen und Toilettenbesuche informieren. Franks opulenter Werkkomplex mit Beigaben auch anderer Künstler und Komponisten ist teils witzig, teils ein wenig ver- und zerstreut. Letztlich stellt er aber doch wichtige Fragen. In Zeiten, in denen unabhängiges Denken bedroht ist, liefert Frank viele Thesen dafür, dass Freiheit heute höchst ambivalent erscheint, dass Politik im Sinne von Links und Rechts längst nicht mehr zu fassen ist. Klare Antworten gibt es nicht. Aber zumindest hat Frank im Gegensatz zu vielen anderen seiner diesjährigen Donaueschinger Kollegen eines: ein wichtiges Anliegen.

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