Eine Pionierin des Chorgesangs
Mit Verena Scheidegger hat die Basler Musikwelt diesen Sommer eine ihrer bedeutendsten Chorleiterinnen verloren.
Bereits Ende der 1950er-Jahre macht Verena Scheidegger-Buser (1942–2023) erste Gehversuche als Chorleiterin, nachdem der Kirchenchor, in den sie doch eben erst eingetreten ist, sich aufzulösen droht. Während ihres Studiums als Pianistin und Chorleiterin am damaligen Basler Konservatorium leitet sie bereits drei Chöre. Ihre prominenten Vorbilder und Lehrmeister sind der Schweizer Komponist und Pädagoge Theodor Diener, der für sie das Oratorium Lazarus komponiert, und Paul Schaller als Chorleitungsdozent am Konservatorium. Sie setzt sich als berufstätige Frau mit Familie bei ihren vorwiegend männlichen Kollegen erfolgreich durch und verwirklicht ihre wertvollen Erkenntnisse aus dem Studium in der Neugründung der Peterskantorei Basel 1965. Damit gehört sie zu den Pionierinnen der Schweizer Chorleiterszene.
Neue Impulse für Kirchenchöre
Sie feilt an einem neuen, bahnbrechenden Profil «Kirchenchor», der nebst monatlichen Gottesdiensten zusätzlich Konzerte mit Solisten und Orchester oder weltliche Serenaden bestreitet. Erstmals werden die Sängerinnen und Sänger in der Chorprobe stimmbildnerisch geschult, was damals weder beliebt noch üblich ist. Ihre Programmwahl ist innovativ mit klarem Konzept. Sie kennt die Grenzen ihres neu gegründeten Chores und verzichtet auf das übliche Repertoire, das sie lieber andern, vorab den professionellen Institutionen überlässt. Im Gegenzug zieht sie die Aufmerksamkeit durch kluge Programmierung auf sich, was auch der professionellen Szene nicht entgeht. Nebst Werken, die im 18. und 19. Jahrhundert zu den meistaufgeführten gehörten und in Vergessenheit geraten sind, darunter Grauns Tod Jesu oder Herzogenbergs Geburt Christi, erteilt sie Kompositionsaufträge. Diese sind perfekt auf die Peterskantorei abgestimmt, während die Solisten und das Orchester höchst anspruchsvolle Parts abzuliefern haben. Stellvertretend sei das Oratorium Petrus des Basler Komponisten Rudolf Jaggi (1940–2015) erwähnt. Wer ein Ohr davon mitbekommt, stellt fest, dass es sich hier weder um Gebrauchsmusik noch um künstlerische Kompromisse handelt. Improvisationsstellen, Aleatorik und schroffe Dissonanzen sind allgegenwärtig. Überdies ist dieses Oratorium ein Geheimtipp für heutige Chöre.
Ü 50
Und noch einmal ist Verena Scheidegger ihrer Zeit voraus. Mit ihr altern, wie in allen Chören, auch die eigenen Mitglieder. Zudem werden in den Basler Chören Altersgrenzen gezogen. Scheidegger nutzt die Gunst der Stunde und gründet in Zusammenarbeit mit der Senioren-Universität und der Basler GGG den «Chor50». Diesmal schielt nicht nur die Schweiz, sondern auch das Ausland nach Basel. Der neue Chor besteht aus erfahrenen und routinierten Singenden bestandener Konzertchöre. Scheidegger ist überzeugt, dass sich stimmlich etwas machen lässt, und sie bekommt recht. Anekdoten berichten, dass sich auch Singwillige unter 50 Jahren interessiert hätten, worauf die Chorleiterin um Geduld gebeten und sie auf die Warteliste gesetzt habe. Damit zeigt sich noch eine weitere Charakterstärke. Es lag ihr fern, andere Vereine zu konkurrenzieren. Im Gegenteil, sie interessierte sich für die Arbeit ihrer Kolleginnen und Kollegen und stand ihnen mit Rat und Tat bei. Sie war regelmässig Gast an den Konzerten der Chöre der Hochschule für Musik Basel und freute sich fortwährend, neue Chormusik kennenzulernen.
Abschliessend sei erwähnt, dass Verena Scheidegger ebenso erfolgreich als Klavierlehrerin an der Musik-Akademie Basel unterrichtete.
Cantate Domino Canticum Novum – Singt dem Herrn ein neues Lied, dies war Verena Scheideggers Lebenselixier. Die Chorszene trauert um eine Künstlerin und Pädagogin, welche das Basler Musikleben massgeblich geprägt hat.