Keine Kompromisse eingehen, dennoch verständlich bleiben

Am 31. Mai 2023 ist Martin Derungs in Basel verstorben. Derungs war als konzertierender Musiker und Komponist weit über die Landesgrenzen hinaus bekannt.

Martin Derungs, aufgenommen in Zürich im November 1999. Foto: Keystone/Ayse Yavas

Martin Derungs wurde am 12. Mai 1943 in Chur geboren. Mit den ebenfalls komponierenden Bündner Musikern Gion Antoni Derungs, Gion Giusep Derungs und Urban Derungs war er nicht näher verwandt. Sein Vater war der Lehrer Josef Derungs (1914–2002), der sich ebenfalls musikalisch profiliert hat, namentlich als Chorleiter und Musikpädagoge.

Künstlerischer Werdegang

Erste musikalische Prägungen empfing Derungs durch seinen Vater und Lucius Juon (1913–2015), den charismatischen Kirchenmusiker und Gründer der Churer Singschule. Es folgte das Studium in Zürich mit den Fächern Orgel (Luigi Favini), Klavier (Hans Andreae) und Komposition (Paul Müller-Zürich). Ein weiteres Kompositionsstudium führte ihn danach zu Günter Bialas nach München (1967–1971). Mit folgenden Worten erinnerte er sich an jene Zeit: «Mit ihm habe ich es ausnehmend gut getroffen. Im Gegensatz zu Stockhausen oder Boulez hat er keineswegs versucht, uns eine konkrete Tonsprache – die wohl die seinige gewesen wäre – aufzuzwingen, und hat sich in dieser Hinsicht stark zurückgenommen. Dennoch haben wir natürlich seine Sachen angehört und auch sehr geschätzt. Was wir bei ihm in erster Linie gelernt haben, ist die Ökonomie der Mittel. Wenn einem wenig in den Sinn kommt, soll man keine Symphonie schreiben, sondern vielleicht zwei Miniaturen.»1

Derungs versah von 1980 bis 1984 einen Lehrauftrag für Cembalo, Generalbass und Kammermusik an der Staatlichen Hochschule für Musik in Karlsruhe. Er war Redaktor bei der Musikabteilung des Schweizer Radios in Zürich und beim Kurzwellensender «Deutsche Welle» in Köln. Doch war Derungs für Aufgaben dieser Art auf Dauer nicht geschaffen. «Die Radioarbeit war für mich einige Zeitlang interessant, aber nach drei Jahren hatte ich genug davon. Ein Vollzeitstelle wie diese war zuviel für mich. Ich habe in dieser Zeit überhaupt keine Konzerte mehr gegeben, nur noch komponiert. Das habe ich nicht länger ausgehalten, ich musste wieder auf die Bühne. So bin ich denn zurück nach Zürich, ohne eine Anstellung in der Tasche.»2

Freischaffender Musiker

Derungs blieb danach im Wesentlichen freischaffend. Zahlreich waren dafür seine weitgehend ehrenamtlichen Engagements auf dem Gebiet der Musikförderung. Die Musikerkooperative Schweiz, eine Vereinigung von improvisierenden Musikern, präsidierte er während vier Jahren. Ebenfalls vier Jahre lang war er Präsident des Schweizerischen Tonkünstlervereins. Neun Jahre war er Mitglied der Programmkommission des Künstlerhauses Boswil. Weiter stand er der Musikkommission der Stadt Zürich vor, wo unter anderem Stipendien und Werkjahre zu vergeben waren. Schliesslich betreute er während einigen Jahren das Musikkollegium Zürcher Oberland in Wetzikon.

Als konzertierender Musiker bevorzugte er das Cembalo. Wir erinnern uns etwa an eine auswendig gespielte Wiedergabe des Wohltemperierten Claviers, in für ihn typischer Manier ergänzt durch ein Stück zeitgenössischer Musik.

Komponist

Zur Charakterisierung seines Komponierens lassen wir Martin Derungs nochmals selbst zu Wort kommen: «Ich war ungefähr 45, als ich mich als Komponist soweit gefunden hatte, dass ich sagen konnte: Ich tue, was ich will, egal, was die anderen denken. Das war in den früheren Achtzigerjahren; da wurde mir klar, was mein Stil sein sollte. Dafür waren zwei Faktoren wichtig: Erstens, dass ich recht viel für Gesang geschrieben habe. Dabei hatte ich nie Lust, die Sänger zu drangsalieren, sondern ich habe immer Stücke komponiert, welche die Leute auch gerne gesungen haben.

Das Zweite ist die Auseinandersetzung mit der sogenannten Alten Musik. In diesem Zusammenhang ist eine ganze Reihe von neuen Stücken für historische Instrumente wie Blockflöte, Cembalo oder Barockgeige entstanden. In den späteren Achtzigerjahren hat mich dann die Welt des Musiktheaters zu interessieren begonnen. Das erste grosse Werk dieser Gattung, das ich schreiben durfte, war Bündner Wirren. Szenen um Jürg Jenatsch für die Davoser 700-Jahre-Feier. Dort haben in der Schlussszene dreihundert Personen auf der Bühne gestanden. Beteiligt waren Laienchöre und nicht weniger als fünf Orchestergruppen, die auf die riesige Szene verteilt waren.

Fasziniert haben mich auch die beiden Projekte, die ich mit dem Chor der Bündner Kantonsschule habe realisieren können. Es ist nicht selbstverständlich, dass man Fünfzehn- bis Neunzehnjährige für so etwas begeistern kann. Diese jungen Leute hatten bis dahin vielleicht ein wenig Mozart auf dem Klavier gespielt und wurden nun mit einer Musik konfrontiert, die sich wohl nicht auf Anhieb erschliesst. Bei diesem Projekt war die eine Hälfte von mir komponiert, die andere bestand aus Jazz. Die Jugendlichen haben zunächst natürlich vor allem auf den Jazz angesprochen, aber am Schluss waren sie davon eher übersättigt. Dafür hatten sie, wie sie mir sagten, meine Stücke begriffen und sangen sie gerne. Als Komponist keine Kompromisse einzugehen und dennoch verständlich zu bleiben, dieser Mittelweg ist mir wichtig.»3

 

Anmerkungen

1 Thomas, Stephan: Musik schaffen und Musik fördern – der Komponist Martin Derungs, in: Bündner Jahrbuch 2013
2 Ebenda
3 Ebenda

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