Mich reizte die tiefe Lage der Bratsche
In Dieter Ammanns Violakonzert «no templates» taucht das Soloinstrument manchmal völlig im Orchesterklang unter. Die Uraufführung vom 22. Januar mit Nils Mönkemeyer und dem Sinfonieorchester Basel begeisterte das Publikum.
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Vier Jahre lang hat Ammann mit Unterbrechungen an diesem Konzert gearbeitet, Damit beauftragt haben ihn gleich mehrere namhafte Orchester und Festivals: das Sinfonieorchester Basel, das Münchener Kammerorchester, das Lucerne Festival, das Tongyeong International Music Festival und das Esprit Orchestra in Toronto.
Der Orchestersatz ist für den international gefragten Dieter Ammann das liebste Tummelfeld. Er versteht es, die vielen Farben und strukturellen Beziehungen mit grosser Fantasie auszuloten. Die energiegeladene Dynamik und eine bis zur Mikrotonalität austarierte Harmonik weiss er mit überraschender Dramaturgie zu verbinden.
Nach mehreren erfolgreichen Orchesterwerken wie glut (2014–2016) und Turn (2010) wagte Ammann den Schritt zum Konzertanten. Die traditionsschwere Gattung des Solokonzerts kommt seiner Vorstellung von Virtuosität und dem subtilen Aushorchen des solistischen Instruments entgegen. Dabei geht es auch stets um den Kampf zwischen Soloinstrument und Orchester.
Dem Klavierkonzert Gran Toccata (2016–2019) und dem Konzertsatz für Violine und Kammerorchester unbalanced instability (2012–2013) folgt nun also das Violakonzert no templates (keine Schablonen). Für Ammann ist das Komponieren seit je «eine lange Reise ins Offene». Im Verlauf eines Stücks könne zu jedem Zeitpunkt alles passieren. Konstant sei nur der stete Wandel «vom fliessenden Übergang bis zur Ruptur».
Ringen um die solistische Position
Die Möglichkeiten der Bratsche werden in diesem Konzert radikalisiert. Der Solopart bewegt sich hauptsächlich in den tiefen Bereichen, neue Farben entstehen. «Die Tiefen haben etwas Archaisches, das mir gefällt», meint er dazu. Dass er sich darüber hinaus auf die tiefste Saite konzentriert, ist solistisch eine grosse Herausforderung. «Mich reizt die tiefe Lage der tiefsten Saite, weil dies das Spektrum ist, das ich in meinem Geigenkonzert nicht hatte und ich die Bratsche dort unten extrem gerne höre.»
Aber hat die Bratsche überhaupt eine Chance, im Orchesterklang herausgehört zu werden? Nur ab und zu. Nils Mönkemeyer kämpfte über weite Strecken mit rhythmischem Drive und virtuoser Kraft um seine solistische Position. Man sah es, hörte es aber kaum. Dann tauchte die Solostimme auf, um bald wieder abzutauchen. Das Soloinstrument führte einen vielschichtig variierten Dialog mit dem Orchester. Das ergab eine dramaturgische Innenspannung, doch das Ohr suchte den dunklen Bratschenklang oft vergebens.
Das Sinfonieorchester Basel trat dem Solisten mit grosser Besetzung und reichhaltigem Schlagwerk gegenüber. Ammanns fein vernetzte, harmonisch immer wieder «instabile» Musik forderte von den Ausführenden kammermusikalische Qualitäten. Unter der souveränen Leitung von Fabien Gabel, der viel Sinn für die klangliche Raffinessen zeigte, gelang den Baslern eine präzise und kraftvoll-dynamische Interpretation.
Spiel mit Quinten
Besonders originell ist der Anfang. Der Solist beginnt mit Pizzicati auf allen vier Saiten, als würde er sein Instrument einstimmen. Zuerst zupft er ein Cis auf der C-Saite, dann folgt die reine Quinte. So wirken die beiden untersten Saiten anfangs verstimmt. Auf eine weitere verminderte Quinte folgen zwei reine. So spielt Ammann mit Quinten. Er suggeriert damit auch eine «imaginäre» fünfte Saite. Aus der Quinte des Anfangs entwickelt der Komponist das weitere Geschehen und wagt damit eine unverstellte Tonalität. Das Intervall spielt strukturell eine wichtige Rolle und erscheint sowohl melodisch als auch harmonisch.
Die temperierte Stimmung reflektiert Ammann in bestimmten Akkorden. Diese «Zonen von Tonalität» werden verschiedenen Zuständen von (In)Stabilität ausgesetzt und mit klanglich ganz unterschiedlichen Atmosphären konfrontiert. Mikrotonalität, wie er sie etwa im Klavierkonzert mit Spektralharmonik verwendet hat, kommt aber noch immer vor. Das ist subtil gemacht und lässt aufhorchen.
Klage in hoher Lage
In die höheren Lagen durfte sich Nils Mönkemeyer nur in zwei Ausnahmefällen aufschwingen. Er machte wahrhaft magische Momente daraus, einmal aus dem Ende der Kadenz (Cadenza II, ins Offene). Es ist eine «zitathafte Klage», in der ein Schubert-Lied aufscheint. Mit dieser Klage gedenkt Ammann seines Komponistenfreundes Wolfgang Rihm, der kürzlich verstorben ist. Rihm und Ammanns Familie ist dieses Konzert gewidmet.
Mönkemeyer hebt diese Passage mit inniger Hingabe und subtiler Tongebung in eine andere Sphäre. Seine vergeistigte Musikalität offenbart sich auch im Schluss des Konzerts. Langsam steigt der Bratschenklang auf, ganz alleine, mit rein intonierten Flageoletts bis in die höchsten Höhen. Das ist betörend – wie schon der Anfang: ein grossartiger Einfall. Das Publikum war hingerissen und spendete allen Beteiligten begeisterten Applaus.
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