Der Frühling kann kommen
Am 11. Februar brachte vokal:orgel zusammen mit rund 180 jungen Stimmen Mendelssohns «Walpurgisnacht» und weitere Werke in einer halbszenischen Aufführung im Stadtcasino Basel zu Gehör.

Die Musikstadt Basel scheint sich den Mai regelrecht herbeizusehnen. Ja, dann soll hier ja so ein grosser europäischer Musikwettbewerb stattfinden, und kurz darauf so ein grosses europäisches Chorfestival. Aber darum geht es hier nicht – nein, die Rede ist von der Walpurgisnacht, dem traditionellen «Tanz in den Mai».
Namentlich abgeleitet von der heiligen Walburga, wird das Fest spätestens seit der europäischen Hexenmanie im 16. und 17. Jahrhundert vor allem mit dem Hexensabbat auf dem Blocksberg assoziiert. Zementiert hat diese Bedeutung Goethe, der das Fest im Faust und andernorts mehrfach bildhaft poetisch beschrieben hat. Aus einer dieser Beschreibungen wurde schliesslich auch Musik: Nachdem sein Lehrer Carl Friedrich Zelter nicht wollte, komponierte Felix Mendelssohn auf Goethes Text die Kantate «Die erste Walpurgisnacht».
Dieses gut halbstündige Stück, das den Winter austreibt und den Frühling einläutet, war am 11. Februar 2025 im Stadtcasino Basel bereits zum zweiten Mal innert kurzer Zeit zu hören. Im vergangenen November hatten es das Collegium Musicum Basel und der Basler Bach-Chor aufgeführt, nun machte sich der junge Konzertveranstalter vokal:orgel daran. Während die erstgenannte Aufführung – entsprechend der beiden altehrwürdigen Institutionen – relativ traditionell daherkam, war die jüngste Umsetzung am 11. Februar 2025 eingebettet in ein durchchoreografiertes, halbszenisches Gesamtprogramm, das einen dramaturgischen Bogen vom tiefen, nordischen Winter zum feierlichen Frühlingsbeginn spannte.

Dunkler nordischer Winter
In kompletter Dunkelheit wurde eingangs der Flügel aus der Versenkung hochgefahren und Dominic Chamot spielte im Polar-Outfit Fanny Mendelssohns Januar aus den 12 Charakterstücken. Dazu begab sich ein Teil des Chors, gekleidet in Mönchskutten, auf die Bühne, wo er bald in das Rondo Lapponico von Gunnar Arvid Hahn einstimmte – ein frostiges Stück, das dem traditionellen samischen Joik nachempfunden ist, und die lappländische Natur (Gänse, Gewässer, Hügel, Wälder) besingt. Nach einer Sprechchor-Einlage («Kommt!») komplettierte sich während der anschliessenden Orgelkomposition Évocation II von Thierry Escaich der Chor und formierte sich mit dem Rücken zum Publikum. Es folgte das estnische Volkslied Lauliku Lapsepõli (dt. «Die Kindheit des Sängers») in der Version von Veljo Tormis, bei dem sich der Chor nach und nach zum Publikum drehte. Wie die meisten der vorgetragenen nordischen Stücke kreierte das Stück im Musiksaal des Stadtcasino eine gleichsam ätherische Atmosphäre, eine gläserne Klanglichkeit, wie verschiedene Eisflächen, die übereinandergeschichtet waren. Das Lied leitete über in diffuses Flüstern, aus dem sich schliesslich eine solistische Sprechgruppe herauskristallisierte und einen «Fluch auf das Eisen» in Szene setzte – ein eindringlicher poetischer Antikriegstext, der kurz darauf in Raua needmine in estnischer Originalsprache und mit schamanischer Trommelbegleitung auch chorisch ertönte. Das zwischenzeitliche christliche Volkslied Ma on niin kaunis stimmte versöhnlichere Klänge an, indem es die Schönheit der Natur, die Gnade Gottes und die singende Pilgerreise der Seele anpries.
Ein winterlicher, nordischer erster Teil wurde abgerundet mit Fanny Mendelssohns Andante espressive, währenddessen der Chor mit Fingerschnippen den einsetzenden Regen imitierte, der, ohne Verschnaufpause, in den Beginn – «Das schlechte Wetter» – der Walpurgisnacht von Fannys Bruder Felix überleitete.

Frühlingshafte Szenerie mit Orgel und Klavier
Für die Musik der Walpurgisnacht war am 11. Februar 2025 im Rahmen der vokal:orgel-Aufführung kein Orchester zuständig – dessen Partie wurde für Orgel, Klavier und Perkussion umgeschrieben und von Babette Mondry (Orgel), Dominic Chamot (Klavier) und Tomohiro Iino, Pablo Mena Escudero und Yi Chen Tsai (Perkussion) gespielt. Und wenn wir gleich bei den Beteiligten sind: Der Chor setzte sich aus jungen Stimmen der Gymnasien Muttenz und Laufen sowie der Steinerschule Birseck zusammen, mit dabei war zudem die Junge Oper des Theaters Basel – ein insgesamt 180-köpfiges Ensemble, zusammengehalten durch die Leitung von Abélia Nordmann.
Während der Ouvertüre der «Walpurgisnacht» wandelte sich das Bühnenbild von einer winterlichen zu einer frühlingshaften Szenerie – mit gelb-grüner Kleidung des Chors (der ausserdem bunte Blumenkränze hervorholte) und ebensolcher Beleuchtung. Mendelssohns Stück funktionierte auch in der speziellen Bearbeitung – die Metzler-Klahre-Orgel des Stadtcasino vermochte mit ihren rund 350 Registermischungen die verschiedenen Klangfarben des Orchesters stimmig zu suggerieren und der Musik dabei zugleich einen eigenen, gewinnbringenden Anstrich zu verleihen; das Klavier unterstützte vor allem in der Konturierung der Melodien. Gesanglich überzeugten nicht nur der Chor, sondern auch die Solistin und Solisten – besonders hervorzuheben ist Bariton Felix Gygli, dessen Volumen, Phrasierung und Bühnenpräsenz beeindruckten.

Auch die Integration der szenischen Elemente (für deren Konzeption Salomé im Hof verantwortlich zeichnete) gelang, beim maskierten Auftritt der «Menschenwölfe und Drachenweiber» kam im Stadtcasino kurzzeitig sogar schon ein bisschen Fasnachtsstimmung auf. Der dramaturgische Gesamtbau der Aufführung war sorgfältig und sinnvoll durchdacht – von Fanny bis Felix Mendelssohn, von Winter bis Frühling, von dunkel bis leuchtend; und im ersten Teil gab es mehrere Entdeckungen aus dem skandinavischen und baltischen Vokalrepertoire. Geradezu ansteckend wirkte der grosse Enthusiasmus der Beteiligten, allen voran jener des Chors. Fazit: Der Frühling kann kommen.
Transparenzhinweis:
Lukas Nussbaumer hat den Text im Auftrag von vokal:orgel verfasst und wurde dafür honoriert. Der Text ist zuerst auf der Website des Autors lukasnussbaumer.com erschienen.
