Das Zukunftsorchester mit Vergangenheit
Die Junge Deutsche Philharmonie gilt als Vorreiterin der selbstverwalteten Orchester. Als Gegenmodell gegründet, ist sie heute eher ein Sprungbrett in den etablierten Klassikbetrieb. Ihre Neujahrstournee begann sie im Basler Stadt-Casino.

Die Junge Deutsche Philharmonie (JDPh), Beiname «das Zukunftsorchester», feierte im vergangenen Jahr ihr 50-jähriges Bestehen. Eine kleine Gruppe aus dem Bundesjugendorchester gründete 1974 eine eigene Formation, da die jungen Leute keine Lust hatten, einem Berufsorchester beizutreten. Damals hatte der etablierte Klassikbetrieb bei vielen Studierenden einen schlechten Ruf. Basisdemokratisch und selbstverwaltet sollte das neue Orchester sein und sich klar vom verkrusteten Konzertleben absetzen. Ein «spätes Wetterleuchten der 68er-Bewegung» nannte dies Lothar Zagrosek, von 1995 bis 2014 Erster Dirigent und Berater der JDPh. Heute sei es «für Orchestermusiker ebenso wie für Dirigenten ein Sehnsuchtsziel, dort eingeladen zu sein». (JDPh-Magazin Taktgeber 55, S. 8)
Allen Unkenrufen zum Trotz hat sich das Mitbestimmungsmodell im klassischen Konzertbetrieb als alternative Organisationsform durchgesetzt. Ähnlich funktionierende Formationen wie das Ensemble Modern, die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen, das Ensemble Resonanz, das Freiburger Barockorchester oder auch die Basel Sinfonietta sind seit Jahren höchst erfolgreich. Die Mitglieder der JDPh arbeiten in verschiedenen Ausschüssen an der Zukunft des Orchesters, den Programmen sowie an der Auswahl von Dirigentinnen und Solisten. In der Mitgliederversammlung werden die Vorschläge diskutiert und zur Abstimmung gebracht.
Angesiedelt zwischen Studium und Beruf
Die JDPh ist bei Studierenden deutschsprachiger Musikhochschulen als Ausbildungsorchester heute sehr begehrt, denn es wird auf höchstem künstlerischem Niveau und mit hochkarätigen Dirigenten und Solistinnen musiziert. Viele Profi-Orchester schätzen die Schulung an der JDPh und greifen gerne auf deren Absolventinnen und Absolventen zurück. Unter den vielen erfolgreichen ehemaligen Mitgliedern findet man Namen wie Thomas Hengelbrock, Jun Märkl, Stefan Dohr und Sabine Meyer. Die momentan 280 Mitglieder zwischen 18 und 28 Jahren aus 35 verschiedenen Hochschulen wurden einem strengen Auswahlverfahren unterworfen: 10 bis 15 Prozent der 500 Bewerberinnen und Bewerber, die jedes Jahr zum Probespiel kommen, werden, zunächst provisorisch, aufgenommen. Im Schnitt bleiben sie 4 Jahre.
Gegenwärtig sind 5 Mitglieder aus Schweizer Hochschulen dabei. Schwerpunkte in der Programmgestaltung bilden zum einen die sinfonische Literatur des 19., 20. und 21. Jahrhunderts. Diese gelangt in den Frühjahrs- und Herbsttourneen zur Aufführung. Zu Neujahr wird meist auf ein spritziges Programm mit mehreren kürzeren Werken gesetzt. Ein anderer Schwerpunkt ist die zeitgenössische Musik. Das «Freispiel», ein biennal durchgeführtes, experimentelles Festival, fand im vergangenen Sommer unter dem Titel «Shifting Futures» mit 13 Konzerten in Frankfurt letztmals statt.
Heute geht es um Jobs
Was ist geblieben von den damaligen idealistischen Zielen? Jürgen Normann, eines der Gründungsmitglieder, war mehr als vier Jahrzehnte Solo-Kontrabassist der NDR-Radiophilharmonie in Hannover. «Haben wir wirklich etwas bewirkt?», fragt er sich rückblickend. Da könne man geteilter Meinung sein, denn «die schlechten Traditionen von damals bestehen zum Teil noch immer». (ebd. S. 9) Doch die Welt dreht sich weiter und die beruflichen Realitäten verändern sich. Jonathan Nott, Erster Dirigent seit 2014, ordnet das Bestreben der Mitglieder ein: «Zwar schätzen sie nach wie vor die Selbstverwaltung und basisdemokratische Organisation, aber sie wollen auch Jobs, sie wollen in den Betrieb hinein, vielleicht gegenläufig zu dem, wofür ein Teil der Gründer gekämpft hatte.» (ebd. S. 22)
Die hohe Fluktuation und das Einbinden aller in die Verantwortung bleibt eine der grossen Stärken der JDPh. Die Medienverantwortliche Johanna Kehl sagt: «Die JDPh erfindet sich jedes Mal neu. Durch die Selbstbestimmtheit unserer Mitglieder, die aktiv die Gestaltung der Programme und der Konzertformate übernehmen und verantworten, entsteht eine besondere Energie und die Freiheit, innovative Ideen zu entwickeln und auszuprobieren.»

Diese besondere Energie war im Konzert «Celebrations» vom 9. Januar unmittelbar zu spüren. «Die Vorreiterin der selbstverwalteten Orchester» sorgte beim Publikum für Begeisterung und gute Stimmung. Delyana Lazarova dirigierte mit Witz, Swing und Präzision. Das Programm mit Copland, Gershwin, Bolcom, Bernstein und Daniel Schnyder zeichnete sich aus durch einen Stilpluralismus zwischen Klassik, Neuer Musik und Jazz. Trotz grosser Besetzung blieb der Streicherklang immer schlank und plastisch. Blech, Holz und Perkussion waren durchwegs prominent im Einsatz, etwa in William Bolcoms Concerto Grosso mit dem umwerfenden Saxofonquartett Kebyart. In Daniel Schnyders komplexem Konzert für Orchester (UA, Auftragswerk JDPh) erhalten normalerweise eher stiefmütterlich behandelte Instrumente wie Tuba, Bassposaune und Kontrafagott motivisch wichtige Soli zugeteilt.
