Mit einem «Riesenhosenlupf» zum eigenen Haus

Nach jahrelanger Suche hat das Zurich Jazz Orchestra an zentraler Lage eine Heimat gefunden. Geschäftsführerin Bettina Uhlmann und Co-Leiter Daniel Schenker erzählen, wie es zum neuen Jazzhaus kam und was es für die Big Band bedeutet.

Das Zürcher Jazzhaus. Foto: Hannes Henz

Seit April ist das 1995 gegründete Zurich Jazz Orchestra (ZJO) an der Heinrichstrasse 69 in Zürich zu Hause, mitten im hippen Kreis 5. Das in einem Innenhof gelegene Haus, ein ehemaliger Handwerksbetrieb, wirkt auf den ersten Blick unscheinbar. Einzig die massiven Metalltüren und die leicht zu übersehende Beschriftung «Jazzhaus» deuten darauf hin, dass im Innern nicht etwa gewohnt wird, sondern die Musik spielt.

Vor bald 24 Jahren übernahm Bettina Uhlmann die Geschäftsführung des ZJO. «Alles, was ich damals vorfand, waren ein leerer Notenkasten, 16 rote Notenständer und etwas Schulden», erinnert sie sich – und schmunzelt. Doch sie war von der Aufgabe fasziniert und trug über die Jahre viel dazu bei, das ZJO zu etablieren. «Dafür war auch ein wenig Glück nötig. Zum Beispiel der Umzug des Jazzclubs Moods in den Schiffbau. Dadurch verfügte unser Orchester ab 2000 erstmals über eine passende Konzert-Plattform.»

Wenige Proben, ambitionierte Stilvielfalt

Als Uhlmann zum ZJO stiess, probte dieses noch im Kirchgemeindehaus des Neumünsters. «Zwar konzertierte man zu dieser Zeit schon, doch das Ensemble war noch eher locker unterwegs», erklärt sie. In der Folge hätten der damalige Leiter, Stefan Schlegel, und sie verstärkt auf Strukturen gesetzt und auf Pünktlichkeit gepocht. «Das geschah Schritt für Schritt und häufig durch Learning by Doing», räumt die Stadtzürcherin ein. Und wie nimmt sie das ZJO heute wahr? «Was mich beeindruckt, ist dessen künstlerisches Niveau. Mehr denn je zeichnet sich das Orchester durch musikalische Flexibilität und seine grosse stilistische Bandbreite aus.» Weil die Ressourcen des ZJO beschränkt seien, erfordere dies von allen Beteiligten nicht nur grosses Engagement, sondern auch viel Disziplin. «Geprobt wird pro Projekt zwei bis drei Mal, jeweils drei bis vier Stunden. Was wenig ist.» Umso wichtiger sei es, dass alle am selben Strick zögen. «Nur so ist und bleibt es uns möglich, auf hohem Niveau zu konzertieren.»

Noch länger verbunden mit dem ZJO ist Daniel Schenker. Der Dozent für Trompete und Gehörbildung an der Zürcher Hochschule der Künste war mit dem Orchester schon in dessen Anfangszeiten vertraut und leitete es mehrfach ad interim. Aktuell ist er sowohl Musiker als auch Co-Leiter. Somit fungiert er als Mittelsmann zwischen den insgesamt 20 Musikerinnen und Musikern sowie dem US-amerikanischen Bandleader Ed Partyka, der sich vor allem als Arrangeur versteht.

«Es gehört zu meinen Aufgaben, Bettina Uhlmann zu entlasten und bei der Programmgestaltung mitzuhelfen», erläutert Schenker. Aufgrund seines grossen Netzwerkes ist er ausserdem dafür zuständig, beim Ausfall eines Musikers im Nu für Ersatz zu sorgen. Laut dem Co-Leiter ist die aktuelle Besetzung des ZJO ambitioniert, vielseitig und fähig, unterschiedlichste Stilrichtungen zu spielen – von Count Basie über Duke Ellington und Gil Evans bis hin zu Avantgarde-Kompositionen. «Unser aktuelles Programm nennt sich ‹The Art of Arranging› und ist namentlich auf Bandleader Ed Partyka und Gäste wie etwa den Trompeter Thomas Gansch oder den Vokalisten und Songschreiber Ola Onabulé ausgerichtet.»

Mit vereinten Kräften zum Jazzhaus

Vor rund sieben Jahren musste das ZJO aus seiner damaligen Ateliergemeinschaft ausziehen. Die Suche nach einem neuen Proberaum gestaltete sich erwartungsgemäss schwierig. «Wir sind ein grosses Ensemble, wir brauchen Platz, wir sind laut», weiss Bettina Uhlmann. Eine Erkenntnis, die sie dazu anspornte, eine dauerhafte Heimat für das Orchester aufzuspüren. Im Wissen darum, dass es in Zürich hürdenreich sein würde, eine passende und auch zahlbare Liegenschaft zu finden. «Doch wir hatten das Glück, einen Partner für unser Unterfangen zu bekommen, die Stephan-à-Porta-Stiftung.» Mit vereinten Kräften stiess man auf eine geeignete Immobilie.

Obschon das Projekt, wie es Uhlmann nennt, ein «Riesenhosenlupf» war, kam man überein, das Wagnis einzugehen. Die Stiftung erstand das Haus, doch die 1,6 Millionen Franken für den über 6-monatigen Umbau musste das Zurich Jazz Orchestra grösstenteils selbst akquirieren. Fündig wurde man bei Stiftungen und Privaten, Unterstützung gab es ausserdem von der Stadt und vom Kanton. Gratis residiert das Ensemble jedoch nicht im Jazzhaus, weshalb das ZJO aktuell auf der Suche nach Untermietern ist.

Der grosse Saal. Foto: Hannes Henz

Herzstück des neuen Domizils ist der gut 80 Quadratmeter grosse und mehr als fünf Meter hohe Probenraum mit vorzüglicher Akustik. Über einen separaten Eingang gelangt man ins Obergeschoss, wo sich ein Büroraum und zwei kleinere Übungsräume befinden, die den Geruch des Neuen und von Fichtenholz verströmen. Noch müssten sich die Musikschaffenden an die Umgebung gewöhnen, hält Bettina Uhlmann fest. Zugleich ist sie überzeugt, dass sich dank der neuen Nachbarschaft auch neue Begegnungen kultureller Art ergeben werden.

 

www.zjo.ch

Open House am 21. April 2024. Foto: Palma Fiacco

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