Künstliche Kunst – Interfinity 2024
Künstliche Intelligenz treibt alle um. An der Basler Fasnacht 2024 war sie eines der häufigsten Sujets. Am Festival Interfinity ging es einige Wochen später um ihre Auswirkungen auf die Kunst, insbesondere die Musik.
Die 2018 in Basel unter dem Namen Basel Infinity Festival gegründete Reihe unter der Leitung des Pianisten und Musikmanagers Lukas Loss hat sich auf die Fahne geschrieben, interdisziplinäre Veranstaltungen zwischen Musik und Wissenschaft auszurichten. Ein dreitägiger Zyklus widmete sich dieses Jahr innerhalb des zu Interfinity umbenannten Festivals vom 18. bis 20. März dem Thema «Artificial Art», den Möglichkeiten von moderner künstlicher Intelligenz (KI) (oder Artificial Intelligence, AI) und deren Auswirkungen auf Kunst und Gesellschaft. Da es zu diesem Thema durchaus noch Informationsbedarf gibt, wurden am ersten Abend im neuen Novartis-Pavillon in einer hochkarätig besetzten Podiumsdiskussion die wichtigsten Aspekte und Problematiken von KI erörtert. Moderiert von Gerd Folkers (ETH Zürich) diskutierten Bianca Prietl und Heiko Schuldt (Universität Basel), Damir Bogdan (CEO Quantum Basel), Frank Petersen (Leiter Forschung Naturstoffe Novartis) und Jan Mikolon (Quantum Basel, IBM).
Nicht mehr wegzudenken
Es ist eine Tatsache, dass sich KI in vielen Gebieten etabliert hat. Die Umwälzung ist ähnlich bedeutend wie etwa die Erfindung des Fotokopierers, des Internets oder des Smartphones, und man weiss nicht, wohin die Reise geht. Einen Weg zurück gibt es nicht mehr, und die Gesellschaft ist gezwungen, sich damit zu arrangieren. Ob eine strenge Regulierung sinnvoll wäre, ist umstritten, da immer Schlupflöcher existieren. Ethische Regeln sind in der Wissenschaft meist kurzlebig.
In unterschiedlichen Gesellschaftsmodellen wird KI auch unterschiedlich eingesetzt: In China ist «social scoring», also die totale Überwachung der Bürgerinnen und Bürger, bereits Realität, während KI in Europa eher zur Zeitersparnis bei Bewerbungen und Ausschreibungen verwendet wird. In der Wissenschaft hat sich KI bereits weltweit durchgesetzt, aber in kürzester Zeit werden sich auch Schulen intensiv überlegen müssen, wie KI sinnvoll zu brauchen ist. Die Universität Basel fördert explizit die Auseinandersetzung mit KI, Angehörige aller Fakultäten sollten fähig sein, sie einzusetzen. Transparenz dürfte ein Zauberwort im Umgang damit sein, ihr Zutun und Anteil sollte kenntlich gemacht werden.
Heiko Schuldt hielt in einem Interview der Basler Zeitung fest: «Man muss sich nicht [vor KI] fürchten. Es ist jedoch sehr wichtig, zu verstehen, wie KI funktioniert und wo ihre Grenzen sind. Was KI kann: innerhalb grosser Datensätze verschiedene Informationen miteinander in einen Zusammenhang bringen. Was KI nicht kann: zwischen wahr und falsch unterscheiden.» KI kann auch nicht eigenständig kreative Prozesse auslösen, könnte aber zumindest theoretisch einen spannenden Kriminalroman auf der Basis aller bisher existierenden Krimis generieren. Man war sich auch einig, dass KI nicht unhinterfragt verwendet werden soll, sieht man doch, dass bei der KI-unterstützten Berufsberatung Frauen zum Studium der Psychologie, Männern aber zu IT und Ingenieurwesen geraten wird. Dass durch KI verschiedene Berufe obsolet werden, ist ein Problem, das nicht vernachlässigt werden darf, ebenso wie die in der Zukunft geringere Wochenarbeitszeit. Ist der Mensch fähig, mit der «eingesparten» Zeit etwas Sinnvolles anzufangen?
Künstliche Paradiese
Am zweiten Abend präsentierte der Schweizer Schriftsteller Alain Claude Sulzer einen launigen Text zum Thema «Künstliche Paradiese». Das Paradies kann sich auf sehr unterschiedliche Art und Weise präsentieren: Für den greisen François Mitterand war es wohl ein Ortolan-Essen, für das Fettammern, kleine Vögel, in einem grotesken, tierquälerischen Ritual zur Befriedigung exquisiter Gelüste zubereitet werden. Einen Gipfel an raffinierter Künstlichkeit stellen die drei Androiden dar, welche die Neuenburger Uhrmacher Vater und Sohn Jaquet-Droz und ihre Mitarbeiter 1774 dem Publikum präsentierten. Diese Automaten, ein Schreiber, ein Zeichner und eine Organistin, begeisterten europäische Schaulustige während Jahrzehnten.
Ein eher absurdes künstliches Paradies schuf sich August Engelhardt um 1900 in der Südsee, wo er sich nur von Kokosnüssen, die ewiges Leben verhiessen, ernähren wollte. Er starb – von Unterernährung und Krätze gezeichnet – frühzeitig, und die von ihm gegründete «kokovorische» Sekte löste sich auf. Auch Albert Hofmanns in Basel erfundenes LSD war ein Weg in ein problematisches künstliches Paradies.
Einen Kontrapunkt zu Sulzers Essay bildeten Klavierwerke von Bach (arr. Siloti), Bartók, Ornstein und Skrjabin, die nicht durch die Wirkung von Drogen entstanden sind, sondern ihre Eigenständigkeit der Beschäftigung mit Volksmusik, der Erfahrung der Emigration und einer esoterischen Weltanschauung verdanken. Der hervorragende Interpret war der weissrussische Pianist Denis Linnik.
Mensch vs. Maschine
Den Abschluss bildete in der Voltahalle ein mit über 300 Personen sehr gut besuchter und vom Basler Erziehungsdirektor Conradin Cramer mit einer kurzen Rede eröffneter Abend mit einem interessanten Konzept: Fünf Komponistinnen und Komponisten schufen je fünfminütige Werke im Stil von Bach, Chopin, Brahms, Messiaen und Bartók für unterschiedlich besetzte Ensembles. Der lettische Komponist Platons Buravickis «komponierte» Gegenstücke mit KI, interpretiert von den gleichen Musikerinnen und Musikern. Die Interpretationen waren durchwegs ausgezeichnet. Zwischen den Aufführungen gab Henry Legg eine mit Videokunst spektakulär unterstützte Einführung in KI.
Das Publikum konnte jeweils mit QR-Code darüber abstimmen, welche Version eines Stücks es für menschengemacht hielt. Man konnte gespannt sein, ob eine Unterscheidung möglich sein würde. Das Publikum irrte sich aber schliesslich bei keinem der Werke, obwohl es zum Beispiel in der KI-Version von Messiaen einige ausgezeichnete Takte gab, die absolut vom französischen Meister hätten stammen können. Das Klavierquintett im Stil von Brahms von Johannes Raiser und speziell das Quartett für Violine, Klarinette, Klavier und Schlagzeug von Amador Buda im Stile von Bartók waren so überzeugend komponiert, dass man sie problemlos in einem «normalen» Konzert spielen könnte. Obwohl dieses Fazit vielleicht wie eine Plattitüde wirkt: Man hatte den Eindruck, dass die KI-Stücke schülerhaft klangen und ihnen die emotionale Tiefe fehlte. Aber KI kann ja noch Fortschritte machen …