Norient vermittelt Welten mit Ton und Bild
Im Rahmen des 13. Norient-Festivals führte die kenianische Künstlerin und Festivalleiterin Emma Mbeke Nzioka auch Workshops für Schulklassen durch.
Dieses Jahr fand das Norient-Festival vom 10. bis zum 14. Januar an unterschiedlichen Orten in der Innenstadt von Bern statt. Es war, wie auch seine Vorgänger, kein Anlass für schwache Nerven. Der Name Norient (No-Orient) stellt sich gegen den Orientalismus und Exotismus. Norient sieht sich als weltweite Gemeinschaft aus Kunstschaffenden, die ihr Gedankengut an ein breites, interessiertes Publikum bringen und einen kulturellen Austausch herstellen. Dies geschieht durch Auseinandersetzung mit diversen sozialkritischen und geopolitischen Themenfeldern. Auf dem diesjährigen Programm standen Formate wie (Kurz-)Film- und Podcast-Screenings, Podiumsgespräche, DJ-Sets oder Online/live-Hybrid-Konzerte von Künstlerinnen und Künstlern aus der ganzen Welt. In diesen Formaten wurden zum Beispiel die Verbindung von Ton und Storytelling, der Israel-Palästina-Konflikt, das Aussterben der Musiksprache der Hmong oder die westliche Ausbeutung afrikanischer Ressourcen thematisiert, wobei der musikalische Aspekt meist im Mittelpunkt steht.
Inmitten dieser schwer verdaulichen Denkanstösse fand man etwas überraschend zwei Workshops für Schulklassen, veranstaltet vom Berner Verein Bee-flat. Bee-flat und Norient sind dafür ideale Partner. Beide suchen auf der ganzen Welt nach spannenden Themen, die sich musikalisch umsetzen lassen, um den Horizont des Publikums zu erweitern. Die kenianische DJ, Fotografin und Cinematografin Emma Mbeke Nzioka (aka DJ Coco Em) erklärte in der einen ungefähr 90-minütigen Veranstaltung routiniert die Basics der elektronischen Musikproduktion anhand des Programms Ableton. Nzioka, die künstlerische Leiterin des diesjährigen Festivals, animierte die Kinder gekonnt zur Beteiligung. Kreativ produzierten sie Beats und fragten zum Schluss interessiert nach der vorgestellten Software und der künstlerischen Tätigkeit Nziokas.
Respekt schaffen, Selbstverständlichkeiten hinterfragen
Trotz der Leichtfüssigkeit, mit der sich Nzioka und der Leiter des zweiten Workshops, Justin Doucet (aka DJ Huilly Huile), musikvermittelnd bewegten, sind Kinder nicht das Kernpublikum des Festivals. Auf die Frage, inwiefern solche Workshops ins Festivalprogramm passen, sagt Nzioka: «Es soll dabei ein gewisser Respekt für das entstehen, was man konsumiert, wie es entsteht und welche Arbeit sich dahinter versteckt. Es ist wichtig, den gesamten Prozess zu verstehen und mit diesem in Berührung zu kommen.» Auch wenn die Workshops im Festival auf den ersten Blick fremd wirken, harmonieren sie mit der Rolle von Norient als «Überbringer».
Es geht darum, Selbstverständlichkeiten der modernen Welt zu hinterfragen, sowohl in den Veranstaltungen für Kinder wie auch in den komplexen Inhalten des restlichen Festivals. Reisefreiheit beispielsweise ist für Nzioka nicht selbstverständlich. Am 12. Januar erzählte sie an einem Podiumsgespräch von ihren eigenen Erfahrungen mit der Visums-Politik Europas. Auch sie war bereits Opfer von willkürlichen Rückweisungen, da sie als kinderlose und unverheiratete Afrikanerin von europäischen Behörden als Risiko eingestuft wird. Es werde davon ausgegangen, dass sie sich illegal hier aufhalten wolle und nicht mehr zurückfliegen werde. Beweise von Auftritten, Arbeit und Rückflügen reichten nicht. Wie zum Beweis konnten auch am diesjährigen Norient-Festival gleich zwei Kunstschaffende nicht antreten. «Man sollte die Bewegungsfreiheit afrikanischer Künstlerinnen und Künstler nicht für selbstverständlich halten, weder in Europa noch innerhalb Afrikas», ergänzte Nzioka.
Neue Gedanken, die haften bleiben
Abends waren Filme in zwei Kinos zu sehen. Einen Höhepunkt bildete der Dokumentarfilm Songs That Flood the River. Diesen Film empfiehlt Nziokas wärmstens. Er handelt von der Auslöschung spiritueller kultureller Praktiken im Zusammenhang mit der Ausbeutung natürlicher Ressourcen. Darüber hinaus spricht er den künstlerischen Prozess des Songwritings an und zeigt auf, inwiefern externe Faktoren diesen beeinflussen können. Das Publikum wird mit Gedanken entlassen, die nicht mehr abzuschütteln sind. Nzioka sagt dazu: «Das Publikum wird nicht finden: ‹Wir ändern heute noch die Welt!›, nein, aber vielleicht werden Zuschauerinnen und Zuschauer immerhin einen Aspekt in ihrem Leben verändern … Vielleicht ihren Umgang mit anderen Leuten oder die Bildung ihrer Kinder.»
Bei den Norient-Festivalbesucherinnen und -besuchern, so verschieden sie sind, fördern Musik und Bilder das Verständnis für wenig bekannte Teile dieser Welt. Es ist zu hoffen, dass Norient durch diese Vermittlung eine neue Art kulturellen Bewusstseins schaffen kann.