Stabwechsel bei den «Talentscouts»
23 Jahre war Howard Griffiths künstlerischer Leiter der Orpheum-Stiftung. Nun übernimmt der Pianist Oliver Schnyder diese Aufgbe. Ein Rück- und Ausblick
Weshalb man ihn vermissen wird, zeigte sich auch beim Abschied. Seit über 30 Jahren fördert die Orpheum-Stiftung junge Musikerinnen und Musiker. Beim Konzert vom 21. Oktober, gleichzeitig Stabübergabe in der künstlerischen Leitung, demonstrierte Howard Griffiths in einer kurzen Abschiedsrede, was es für eine erfolgreiche künstlerische Laufbahn neben Talent eben noch zusätzlich braucht. Das von ihm geleitete Orpheum Supporters Orchestra umschrieb er als «Ärzteorchester», eine Bezeichnung, die aus seinem Mund in keiner Weise despektierlich klang, sondern nur den Schalk und die Begeisterungsfähigkeit seiner Persönlichkeit unterstrich.
Die Einzigartigen finden
Persönlichkeit sei denn auch das Kriterium, auf das er als «Talentscout» neben den musikalischen Qualitäten in erster Linie achte, betonte Griffiths im zuvor geführten Telefongespräch. In den letzten Jahren sei die Menge an technisch hochbegabten Leuten grösser geworden, die «ganz besonderen künstlerischen Persönlichkeiten» blieben aber so selten wie eh und je. Eine Einschätzung, die auch sein Nachfolger Oliver Schnyder teilt. In einem schriftlich geführten Interview betonte dieser, dass sich die Interpretationen junger Künstler aufgrund der fehlenden Zeit für eine organische Entwicklung immer mehr einem «breit akzeptierten Standard» annäherten, und schliesst mit dem bemerkenswerten Satz: «Ich bin mir gar nicht so sicher, ob sich Musikerpersönlichkeiten wie ein Fritz Kreisler, ein Edwin Fischer, eine Clara Haskil oder ein Pablo Casals heute noch in vergleichbarer Weise durchsetzen würden.»
In der Sache sind sich die beiden also einig. Es geht bei der Orpheum-Stiftung darum, einzigartige Persönlichkeiten aus dem grossen Reservoir an Talenten herauszupicken. Eine Aufgabe, die bislang auch erfolgreich bewältigt wurde, wie ein Blick in das Archiv zeigt: Truls Mørk, Renaud und Gautier Capuçon, Yuja Wang, Alisa Weilerstein, Nikolaj Znaider, um nur einige zu nennen, haben alle von der Förderung durch die Stiftung profitiert. Man kann also mit einigem Recht von einer Erfolgsgeschichte sprechen. Und alle Anzeichen sprechen dafür, dass diese mit Schnyder fortgeschrieben wird. Schnyder, der einst selbst zu den «Zöglingen» zählte, sieht sich in erster Linie als neues Mitglied eines starken Teams. Kontinuität ist also das Zauberwort, lediglich die Setzung einiger neuer Schwerpunkte ist zu erwarten.
Entwicklungspotenzial ausschöpfen
Bezüglich dieser neuen Schwerpunkte kann man das Konzert vom 21. Oktober denn auch als programmatisch bezeichnen. Denn die 1996 geborene dänisch-ukrainische Geigerin Anna Agafia Egholm trat dabei nicht als alles überstrahlende Solistin auf, sondern spielte gemeinsam mit dem ehemaligen Orpheum-Solisten Maximilian Hornung am Cello und Oliver Schnyder am Klavier Beethovens Tripelkonzert. Damit wies das Konzert die Richtung: Stiftungszweck und Fördermodell der Orpheum-Stiftung sind es, junge Solistinnen und Solisten mit bekannten Orchestern und Dirigenten zusammenzubringen. «Neu werden wir die Idee auch auf die Kammermusik übertragen und grosse Mentorinnen und Mentoren einladen, die mit den Jungen proben und auftreten», beschreibt Schnyder seine Zukunftsvision.
Aus diesem Grund spielte es auch keine Rolle, dass kein «Spitzenorchester» den Abend bestritt. Denn auch wenn das aus Laien und einigen Profis zusammengesetzte Orpheum Supporters Orchestra seine Sache gut machte, so ist es doch kein Ensemble im Sinne der Stiftungsvorgaben. Das Zusammenspiel mit den beiden etablierten Solisten war hingegen durchaus eine Spitzenleistung. Gerade der Vergleich mit Hornung zeigte auch Entwicklungspotenzial bei Egholm auf. Dessen prägnantere und plastischere Phrasierung demonstrierte eindrücklich, was man aus dem häufig verkannten Tripelkonzert herausholen kann.
Apropos Entwicklungspotential: Bei allem Lob für den Leistungsausweis der Orpheum-Stiftung könnte auch sie einige neue Möglichkeiten ausschöpfen. Nicht aus der Sicht derjenigen, die mit dem Status quo des klassischen Konzertbetriebs zufrieden sind: Berühmte Interpreten spielen das bekannte Repertoire aus dem 18. und 19. Jahrhundert. Für alle andern aber wäre es schön, würde sich die 800-jährige, stets weiter fortgeschriebene Tradition der klassischen Musik auch in der Nachwuchsförderung stärker abbilden.
Howard Griffiths hat das unter anderem mit der Einführung von Composers in Residence versucht, führte im Gespräch aber den damit verbundenen, enormen Aufwand an, den eine kleine Stiftung organisatorisch kaum stemmen könne. Oliver Schnyder verwies diesbezüglich explizit auf den Stiftungszweck, schloss aufgrund der neuen Kammermusikformate eine gewisse Erweiterung des Repertoires aber nicht aus. Und ja, es ist nicht die Aufgabe einer einzelnen Stiftung, den Klassikbetrieb zu refomieren. Aber ist es vermessen, ein klein wenig Hoffnung in eine Stiftung zu setzen, welche vor etwas mehr als 30 Jahren ein revolutionäres Förderkonzept etablierte?