Die Wurzeln des Jazz anerkennen
Bei den 2. Swiss Jazz Days in Bern war die Dekolonialisierung im Jazz eines der zentralen Themen. Die zweitägige Veranstaltung stiess auf grosses Echo.
Im Berner Progr, dem Veranstaltungsort der zweiten Ausgabe der Swiss Jazz Days, mussten am 4. März zusätzliche Stühle herangekarrt werden. «Ich hätte nicht gedacht, dass der Samstagnachmittag derart voll wird», bekannte Christoph Jenny, einer der beiden Initiatoren des zweitägigen Events. Das grosse Interesse dürfte nicht zuletzt dem brisanten Programmpunkt «Decolonization & Antirassismus in der Schweizer Jazz-Szene» geschuldet gewesen sein. Dessen Moderatorin, Apiyo Amolo, erzählte einleitend, dass sie einst hierzulande gedrängt wurde, sich von ihren Dreadlocks zu trennen, und dass sie zwar gerne jodelt, aber dazu bewusst keine Schweizer Tracht trägt. Wodurch sie ihre Zuneigung zum Land, in dem sie seit mittlerweile 23 Jahren zu Hause ist, zum Ausdruck bringt. «Ich betreibe kulturelle Wertschätzung und nicht etwa kulturelle Aneignung», unterstrich die Interkulturelle Mediatorin.
Geburtsort: New Orleans
Beim von Amolo geleiteten Panel blickte der aus Louisiana stammende Reverend Scotty Williams auf die Entstehungsgeschichte des Jazz zurück: «Die Sklaven hatten in New Orleans sonntags frei, trafen sich auf dem Congo Square und drückten ihre Gefühle mittels Musik aus.» Um diesen Sound zu benennen, sei in der Folge – zunächst durchaus abschätzig gemeint – der Begriff Jazz entstanden.
Die in Togo aufgewachsene und in Bern ausgebildete Musikerin Afi Sika Kuzeawu betonte, dass sich Jazz nicht ausschliesslich aus weisser Perspektive nachvollziehen lasse. «Während meinem Studium bekam ich öfters zu hören, dass ich Musik, die ich nicht lesen kann, auch nicht zu spielen imstande sei. Dabei fällt mir das leicht.» Um den Jazz auf pädagogischer und praktischer Ebene zu dekolonialisieren, sei es nötig, einen erleichterten Zugang zum hiesigen Bildungssystem zu ermöglichen, gab sie sich überzeugt. «Aufgrund fehlender Zertifikate dürfte Ella Fitzgerald in der Schweiz nicht Jazz unterrichten.» Aus Sorge vor dem Vorwurf der kulturellen Aneignung sollen dagegen einige Schweizer Musikschaffende befürchten, keinen Jazz mehr machen zu dürfen. Laut der Moderatorin eine unbegründete Angst: «Wer Jazz spielt, sollte allerdings anerkennen, wo die Wurzeln dieses Genres liegen.»
Brisante Themen, viel Publikum
Inzwischen sind die Swiss Jazz Days 2023 bereits wieder Geschichte. «Wir konnten einen Publikumszuwachs verzeichnen», bilanziert Co-Gründer Simon Petermann. Dass man heuer rund 170 Besucherinnen und Besucher begrüssen durfte, führt er unter anderem auf «gute Referierende und gute Themen» zurück. Nebst der Diskussion um Dekolonialiserung im Jazz sei die Frage der sozialen Sicherheit auf erhebliches Interesse gestossen. «Das beweist, dass wir zukünftig ein grosses Augenmerk auf die Themensetzung legen müssen.»
Für die zweite Durchführung der Swiss Jazz Days wurde die Last neu auf mehrere Schultern verteilt. «Aktuell umfasst unser Organisationsteam sieben Personen, was automatisch zu mehr Ideen führte», freut sich der Berner. Obschon sich der Anlass gegenüber 2022 kaum verändert habe, konstatiert er eine Entwicklung «nach innen». Allein durch Eintritte lasse sich der Event aber nicht finanzieren. «Erneut haben wir diverse Stiftungen um Unterstützung angefragt – doch das ist alles andere als einfach.» Auch das im letzten Jahr gesteckte Ziel, vermehrt Veranstalterinnen und Vertreter der Kulturförderung zu gewinnen, habe sich nur bedingt umsetzen lassen. «Da müssen wir fortan stärker investieren», erklärt Petermann. «Unser Vorhaben ist es nach wie vor, die Swiss Jazz Days drei Mal durchzuführen und danach weiterzusehen.» Zugleich beschäftige man sich bereits mit dem Gedanken, den Anlass dereinst in die Romandie zu bringen.«Die Swiss Jazz Days sollen aber nicht nur vernetzen, sondern auch auf den Wert von Kultur und Musik hinweisen.»