Das NOB mit nächtlichen Bildern und Klängen
Die Nacht als Inspirationsquelle und als Raum zur Befreiung der Gedanken: Das Neue Orchester Basel schlägt eine Brücke zwischen Werken an der Schwelle zur Moderne und der bildnerischen Gestaltungskraft von Jugendlichen.
Das Neue Orchester Basel (NOB) steht seit 2012 unter der Leitung von Christian Knüsel. Er professionalisierte den Klangkörper und positionierte ihn neu mit spartenübergreifenden, thematischen und kommentierten Programmen. Die Nachwuchsförderung ist ein wichtiger Bestandteil seiner Orchesterarbeit. In regelmässigen Vermittlungsprogrammen werden Jugendliche mit eingebunden. In der NOB-Kompositionswerkstatt entstehen unter Anleitung Auftragswerke von jungen Komponierenden. Die NOB-Academy bietet mittel- und südamerikanischen Talenten Online-Masterkurse an ihrem Instrument an; in dieser Saison kam das Jove Orquestra Nacional de Catalunya (JONC) aus Barcelona als Kooperationspartner hinzu. Sechs Mitglieder dieses Orchesters wurden eingeladen, im Konzert vom 26. März im Stadtcasino mitzuspielen. «Wir möchten jugendliche Kreativität in unseren Konzerten sichtbar machen und die Freude für die Musik in die nächste Generation tragen», steht im Programmheft.
Ein Bild aus Nachtmusiken
Im vergangenen August bat Christian Knüsel den Künstler und Lehrer für Gestaltung am Zentrum für Brückenangebote Basel-Stadt (ZBA), Gert Handschin, zusammen mit seinen Lernenden einen bildnerischen Beitrag zum Programm «Die Gedanken sind frei – 1001 Nacht» zu leisten. Er sei sich zunächst nicht sicher gewesen, ob er diese Aufgabe umsetzen könne, verriet er in der Konzertpause, denn er habe zu diesem Zeitpunkt die Zusammensetzung seiner Klasse noch nicht gekannt. Jedes Jahr kommen neue, aus schwierigen Verhältnissen stammende oder in prekären Umständen lebende junge Leute ins ZBA – in diesem Schuljahr sind auch Flüchtlinge aus der Ukraine dabei. Er bat seine Kollegin Silvia Arbogast vom Gymnasium Bäumlihof, mit ihm zusammenzuspannen.
Sie einigten sich auf die Technik Linolschnitt und das Format 21 x 21 cm. Die Arbeitsvorgabe für die 25 beteiligten Schülerinnen und Schüler lautete, mit Schatten, Fragmenten sowie mit Farben zu experimentieren und sich dabei von der Musik des Abends inspirieren zu lassen. Am Schluss wurden die einzelnen Teile zu einem grossen Quadrat zusammengefügt. Das Original konnte im Foyer des Stadt-Casinos bestaunt werden. Ein riesiges Tuch mit den fotografisch übertragenen Kunstwerken hing über dem Orchester. Das Publikum hatte die Möglichkeit, seine Blicke über die bunten Quadrate schweifen zu lassen und gleichzeitig in die musikalisch-nächtliche Traumwelt einzutauchen.
Sprengen formaler Fesseln
In seiner Anmoderation stellte Christian Knüsel Debussy als den ersten Komponisten vor, der sich von starren formalen Strukturen verabschiedete. Debussy hatte sich bei seinen Nocturnes (1900) durch die impressionistischen Gemälde gleichen Titels von James Abbott McNeill Whistler inspirieren lassen. Mit dem Satz Nuages gelang es dem Orchester, das Publikum sogleich in eine fantasievolle nächtliche Traumwelt zu führen. Con sordino wurde die Dynamik innerhalb des Pianissimo zu Beginn voll ausgereizt. In der Mitte des Stücks türmten sich die Wolken mächtig auf, um sich gegen Ende wieder zu lichten.
John Cages Music of changes (1951) gab dem NOB-Saisonprogramm seinen Namen. In seinem Klavierstück erhob Cage die Unbestimmtheit zum Prinzip. Keine Interpretation sollte wie die andere sein. Die Aufführung sollte dem Zufall gehorchen und der Kreativität des Interpreten anheimgestellt sein. Knüsel löste diese Vorgabe, indem er die Pianistin Beatrice Berrut Cages Komposition im Wechsel mit dem Wohlfühlklassik-Stück Forgotten Dreams (1954) von Leroy Anderson spielen liess. Der Wechsel vom einen zum anderen wurde durch zufällig eingespielte Vogelstimmen gesteuert.
Manuel de Falla hat sein dreisätziges Werk Noches en los jardines de España (1909–1916) ursprünglich als drei Nocturnes für Klavier solo konzipiert, diese aber später zu einem sinfonischen Werk umgearbeitet. Das Klavier ist stark ins Orchester eingebunden, steht jedoch immer im Zentrum des Geschehens. Beatrice Berrut gab ihrem Part ein brillantes Profil.
Zum Schluss tauchte das Orchester mit Nicolai Rimski-Korsakows Scheherazade (1888) ab in die zauberhafte Märchenwelt von 1001 Nacht. Fantasie zu haben, könne auch überlebenswichtig sein, betonte Knüsel: «Inspiration war für Scheherazade existenziell», denn die Prinzessin musste den Sultan mit 1001 Geschichte Nacht für Nacht bei Laune halten, um nicht umgebracht zu werden. Das jahrelange Überleben der Prinzessin findet ihren musikalischen Ausdruck im ostentativen Wiederholen des einen Themas, das sich durch alle vier Sätze durchzieht, sich aber musikalisch ständig wandelt. Man könnte sagen, die Prinzessin bleibt dieselbe, die Geschichten wechseln. Die Ausformungen des Themas gelangen im Zweigespräch zwischen dem Holz und den Streichern aufs Feinste. Die Soloparts der Klarinette, der Flöte, der Oboe und des Fagotts und ganz besonders die Soli des Konzertmeisters David Castro Balbi bleiben in Erinnerung.