Le Piano Symphonique – ein Klavierfestival in Luzern
Luzern hat wieder ein Klavierfestival. Vom 7. bis 11. Februar sind Recitals und Klavierkonzerte zu hören, zum Teil auch spielerisch zusammengebracht.
Am Sprungturm hängen Scheinwerfer. Die Wasserrutsche führt ins Trockene. Hier im ehemaligen Luzerner Hallenbad wird schon lange nicht mehr geschwommen. Unter dem Namen Neubad ist bereits vor zehn Jahren ein alternatives Kulturzentrum entstanden mit Club und Gastronomie.
An diesem Abend steht beim Late-Night-Konzert des Klavierfestivals «Le Piano Symphonique» ein Cembalo im Schwimmbecken. Die Zuschauer hören vom Beckenrand zu oder haben mehr liegend als sitzend auf einer Tribüne Platz genommen, um den Klängen des französischen Cembalostars Jean Rondeau zu lauschen. Das Prélude en la mineur von Jean-Philippe Rameau lässt er wie eine Improvisation beginnen: frei, mit bewusst gesetzten Pausen, den Tönen nachhörend. Der zarte Cembaloklang wird durch die weissen Kacheln des Beckens verstärkt. Zwischen Rettungsring und Startblöcken entsteht eine konzentrierte, fast meditative Stimmung. Auch die Suite en la ist eine Entdeckung. Die Courante phrasiert Rondeau jazzig. Jeder Triller ein kleines Kunstwerk! Die gebrochenen Akkorde in François Couperins La Ténébreuse (Allemande) gleichen Gefühlsausbrüchen, die sich im Marche des Scythes von Pancrace Royer mit spektakulären Läufen zu einem echten Rausch steigern. Nach seinem gefeierten Luzern-Debüt kommt Rondeau an die Poolbar, bestellt einen Tee und mischt sich unters Restpublikum.
Das Klavierfestival des Luzerner Sinfonieorchesters ist zum ersten Mal zu Gast im Neubad. «Ich finde es spannend, das Cembalo in diesem Rahmen zu präsentieren. Dass wir hier nun auch neues Publikum gefunden haben, ist ein schöner Nebeneffekt», sagt Intendant Numa Bischof Ullmann tags darauf beim Gespräch im Café.
Start mit Brahms, Fortsetzung mit Schumann
Im Jahr 2019 hatte das Lucerne Festival sein im Herbst stattfindendes Pianofestival eingestellt. Die Enttäuschung in der Stadt war riesig. Als das Kultur- und Kongresszentrum (KKL) schliesslich eine Ausschreibung veranstaltete, um wieder ein Klavierfestival ins Leben zu rufen, entwarf Bischof Ullmann sein Konzept von «Le Piano Symphonique» – und erhielt den Zuschlag. Das erste Festival 2022 widmete sich ganz Johannes Brahms und wurde gut aufgenommen.
In diesem Jahr eröffnete Rudolf Buchbinder die Konzertreihe mit feingliedrigen Mozart-Variationen über Ah, vous dirai-je, Maman KV 256, einer ganz gerade gespielten, am Ende sich schön zuspitzenden Appassionata und etwas zu massiv genommenen Symphonischen Etüden op. 13 von Robert Schumann, dem Schwerpunkt-Komponisten des diesjährigen Festivals. Im reichen Programm finden sich weitere grosse Namen wie Evgeny Kissin im Sonderkonzert oder Khatia Buniatishvili, aber auch Newcomer wie der erst 18-jährige Israeli Yoav Levanon, der auf Wunsch des Intendanten Ignacy Jan Paderewskis selten gespieltes Klavierkonzert mit dem Luzerner Sinfonieorchester im KKL interpretiert. Dass in der zweiten Konzerthälfte Víkingur Ólafsson noch ein Klavierrezital gibt, ist ungewöhnlich.
«Wir möchten spielerisch mit Konzertformaten umgehen und den Künstlerinnen und Künstlern den passenden Rahmen geben. Dazu gehören auch traditionelle Formen.» Bischof Ullmann will den Klavierkanon feiern, aber auch Unbekanntes ans Licht holen. Im nächsten Jahr gibt es eine Uraufführung. Dass das Lucerne Festival im Mai jetzt doch wieder ein von Igor Levit kuratiertes Klavierfest neu auflegt, betrachtet er gelassen, zu unterschiedlich seien die Ausrichtungen.
Martha Argerich ist schon lange dem Luzerner Sinfonieorchester verbunden. Robert Schumanns Klavierkonzert gestaltet sie im voll besetzten KKL wirklich als Fantasie, als die es ursprünglich geplant war: mit delikaten Farbwechseln, drängender Melodik und müheloser Virtuosität. Nie spielt sie das Hauptthema im ersten Satz gleich. Die Pianistin ist ganz verwoben mit dem Orchester, das Michael Sanderling aufmerksam um alle Klippen leitet. Nur im Finale hakt es hin und wieder ein wenig im Zusammenspiel. Aber die heiklen Übergänge, etwa vom Intermezzo zum Finale, gelingen wie aus einem Guss. Argerich zaubert, lässt den Flügel im Diskant wie eine Celesta klingen und macht aus den donnernden Akkordbrechungen elegante Spitzen. Und sie schenkt, selten genug, zwei Zugaben: ein ganz verinnerlichtes Von fremden Ländern und Menschen aus Schumanns Kinderszenen und eine delikate Gavotte aus Bachs Englischer Suite III in g-Moll.
Aufbruchstimmung
Vor der Pause erklang Johannes Brahms 3. Sinfonie in ihrer gesamten Bandbreite zwischen lyrischem Innehalten und dramatischem, kämpferischem Ausbruch. Der im Herbst 2021 aus Dresden gekommene Chefdirigent Michael Sanderling sieht Johannes Brahms als «zwingend notwendige Eingangstür für grosses romantisches Repertoire». Eine Gesamtaufnahme der vier Sinfonien und des von Arnold Schönberg für Orchester bearbeiteten Klavierquartetts in g-Moll erscheint in wenigen Wochen.
Die rein privat finanzierte Vergrösserung des Orchesters von rund 50 Stellen beim Amtsantritt des Intendanten im Jahr 2004 auf im Augenblick rund 80 schafft nun die Voraussetzung, gross besetzte Werke angemessen zu realisieren. Während anderswo auf die Sparbremse gedrückt wird, verbreitet sich beim Luzerner Sinfonieorchester Aufbruchsstimmung. Ein neues Orchesterhaus sorgt für optimale Probe- und Aufnahmebedingungen. Sanderling ist begeistert vom Rückhalt in der Stadt und der schnellen Auffassungsgabe seiner Orchestermitglieder. Die Harmonie ist auch zu hören bei Brahms’ 3. Sinfonie. Besonders die Streicher reagieren auf Sanderlings klares, sachdienliches Dirigat schnell und sensibel. Bei den nicht ganz homogen besetzten Bläsern ist noch Luft nach oben. Im Finale entfesselt Sanderling die gestauten Orchesterkräfte und lässt den Satz wieder zur Ruhe kommen. Und das Luzerner Publikum feiert sein immer grösser werdendes Orchester.
Klavierfestival «Le Piano Symphonique», noch bis 11. April.
sinfonieorchester.ch