In Genf werden Träume klingende Realität

Zwei der drei Final-Kompositionen für Vokalensemble am 76. Concours de Genève waren von Träumen inspiriert. Der Südkoreaner Shin Kim erhielt den 1. Preis.

Shin Kim und die Neuen Vocalsolisten Stuttgart. Fotos: Anne-Laure Lechat

Alle zwei Jahre findet im Rahmen des Concours de Genève, der trotz grosser Konkurrenz nach wie vor grosses internationales Ansehen geniesst, ein Kompositionswettbewerb statt, der die Tradition des 1959 von der Fondation Reine Marie José begründeten Prix International de Composition Musicale weiterführt und von dieser auch finanziell unterstützt wird.

97 Kandidatinnen und Kandidaten zwischen 18 und 39 Jahren aus 37 Ländern haben ihre Werke für die diesjährige Ausgabe eingereicht. Verlangt war ein 15- bis 20-minütiges Werk für ein sechsköpfiges Vokalensemble bestehend aus Bass, Bariton, Tenor, Mezzosopran, Sopran und hohem Sopran, wobei der Mezzosopran durch einen Countertenor hätte ersetzt werden dürfen. Der Einsatz von Elektronik war unter gewissen Bedingungen ebenfalls erlaubt.

Wie immer wurde eine hochkarätige Jury engagiert, die dieses Mal aus dem Jurypräsidenten Beat Furrer sowie Hans Abrahamsen, Unsuk Chin, Stefano Gervasoni und Isabel Mundry bestand. Obwohl die fachliche Kompetenz der Jury über jeden Zweifel erhaben ist, kann man sich fragen, ob tatsächlich alle Strömungen der zeitgenössischen Musik in ihr angemessen vertreten waren. Vom 20. bis am 22. Juni trafen sich die Jurymitglieder in der Fondation Bodmer in Cologny, um aus der riesigen Zahl der eingereichten Werke die drei Finalisten auszuwählen. Ob es möglich sein kann, ohne die Werke gehört zu haben, tatsächlich die eindeutig besten drei auszuwählen, bleibe dahingestellt.

Trotzdem konnte man sich uneingeschränkt auf ein spannendes Finale freuen, da für das Konzert mit den drei Werken vom 26. Oktober mit den Neuen Vocalsolisten aus Stuttgart ein weltweit bekanntes Spitzenensemble für Neue Musik als Interpreten gewonnen werden konnte. Die Finalisten waren der 1995 geborene Ungare Ármin Cservenák mit Madrigali, der gleichaltrige Japaner Yuki Nakahashi mit Settings und der 1994 geborene Shin Kim aus Südkorea mit The Song of Oneiroi, in dem auch Mikrofone zum Einsatz kamen (Elektronik: David Poissonnier).

Vom Spiegel des Selbst bis zur Tour de Force

Madrigali von Ármin Cservenák ist eine viersätzige Komposition auf Texte von Petrarca, Michelangelo und Giacinto Scelsi, die sich zwar auf Renaissance-Madrigale bezieht, ohne aber die Kompositionen der Vergangenheit zu zitieren. Die Musik des ersten und dritten Teils ist expressiv, häufig durch Zäsuren unterbrochen, dynamisch sehr unterschiedlich und nützt den ganzen Tonumfang des Ensembles aus, während die anderen Teile eher flächig mit geschickt eingesetzter Mikrotonalität und geräuschhaften Passagen komponiert sind. Der Komponist schreibt, Madrigali sei ein Werk über Träume und Visionen, Träumen ein Zustand oder Ort, wo sich uns das Unbewusste öffne und uns erlaube, uns besser kennenzulernen, wie ein ehrlicher Spiegel.

Für sein differenziertes Werk, das in gewissen Passagen an Vorbilder wie Salvatore Sciarrino erinnert, erhielt Ármin Cservenák, der in Graz bei Beat Furrer studiert, den 3. Preis sowie den Publikumspreis.

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Die drei Gewinner: V.l.: Shin Kim, Yuki Nakahashi, und Ármin Cservenák

Settings von Yuki Nakahashi, in manchen Passagen stilistisch gar nicht so weit vom ersten Werk des Abends entfernt, ist insgesamt ein ziemlich introvertiertes Stück in acht Teilen. Der Komponist verwendet Texte, Strukturen und Kompositionstechniken aus Kantaten von Johann Sebastian Bach, die durch geräuschhafte Abschnitte kontrastiert und überlagert werden. Viele biblische Tiere bevölkern die Partitur, so ist etwa fast naiv das Blöken des verlassenen Schafes zu hören. Dass Yuki Nakahashi, der in Japan und in Paris, unter anderem bei Stefano Gervasoni, studiert hat, auch den Choral Es ist genug! zitiert, ist nach der erschütternden Wirkung, die dieses Zitat in Alban Bergs Violinkonzert auslöst, nicht mehr sonderlich originell. Die Jury erkannte dem japanischen Komponisten den 2. Preis zu, ausserdem erhielt er nicht weniger als drei Spezialpreise.

The Song of Oneiroi vertont keinen Text, sondern basiert auf den unterschiedlichen Klangfarben von Silben verschiedener Sprachen. In der griechischen Mythologie wurde die Verkörperung der Träume «Oneiroi» genannt. Shin Kim ist ein selbstbewusster junger Komponist, der sehr geschickt alle Ingredienzen für ein erfolgreiches Stück einzusetzen weiss. Sein Werk, eine wahre Tour de Force, war eindeutig das effektvollste des Konzerts, durch den Einsatz von Mikrofonen, durch Klatschen, Stampfen und Bodypercussion auch klanglich am vielseitigsten. Der Komponist kennt sich offensichtlich in der zeitgenössischen Vokaltechnik aus und schreckt auch nicht vor dynamischen Extremen zurück. Kim, der nach Studien in Seoul und Wien jetzt bei Rubens Askenar an der Royal Academy of Music in London studiert, erhielt für sein attraktives Werk den 1. Preis, der mit 15 000 Franken dotiert ist.

Die drei Komponisten und das hervorragende Solistenensemble aus Stuttgart wurden vom zahlreichen Publikum in der prachtvollen Salle Franz Liszt des Genfer Conservatoire begeistert gefeiert.

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