Ausstrahlung über die Region hinaus

Seit 2016 überrascht das Festival für den Komponisten Othmar Schoeck in Brunnen mit Musik, Theater, Ausstellungen, Referaten und Podien.

Das Mondrian-Ensemble in der Werkhalle nach der Uraufführung des Auftragswerks. Foto: SMZ

2016 wurde es ins Leben gerufen, mittlerweile ist es weit über die Region hinaus bekannt. Das «Othmar Schoeck Festival», das hoch über Brunnen, an einmaliger Lage in einer Villa über dem Vierwaldstättersee, stattfindet, ist zum einen der Musik des hier geborenen Komponisten, zum anderen aber auch seinem Geburtshaus und dessen künftigem Potenzial als eigentliches Kulturzentrum, gewidmet.

Das Haus lebt und ist Geschichte. Die Villa wurde von Schoecks Vater Alfred (1841–1931) erbaut und diente dem Kunstmaler als Atelier. Vom terrassierten Garten aus sieht man über den See, das Rütli, die Treib bis in die Urner Alpen. Beides, Villa und Garten, laden und luden zum Nachdenken, Philosophieren, Musizieren oder Diskutieren ein.

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Blick vom Garten der Schoeck-Villa auf den See. Foto: SMZ

Das Schoeck-Festival ist speziell und hebt sich von ähnlichen kulturellen Veranstaltungen ab. Was im Haus geboten wird, mag nur auf den ersten Blick elitär wirken. Alvaro Schoeck, selbst Opernregisseur und Grossneffe des Komponisten – zusammen mit Musikwissenschaftler Chris Walton ist er künstlerischer Leiter der Veranstaltung –, sorgt stets aufs Neue für Überraschungen. Diese bleiben lange Zeit in den Köpfen der Besucherinnen und Besucher, wer nicht dabei war, hört immer wieder, etwas verpasst zu haben. Die Events in der Schoeck-Villa sorgen auch in den Dorfrestaurants im Talkessel für Gesprächsstoff. Man habe den berühmten Komponisten wieder aus der Vergangenheit geholt, schrieb die Neue Luzerner Zeitung denn auch 2016 schon zu Recht. Und der Bezirk Schwyz, nicht bekannt für finanzielle Grosszügigkeit, adelte gleich das erste Schoeck-Festival mit einem – nur selten vergebenen – Anerkennungspreis. Der damalige Bezirksammann und heutige Regierungsrat Sandro Patierno lobte dabei den wichtigen Bezug und die grosse regionale Bedeutung des Festivals.

Experimentierlust und Bodenhaftung

Die Kombination von überraschenden Events, 2016 beispielsweise dargeboten vom Hauen-und-Stechen-Musiktheaterkollektiv aus Berlin, das kürzlich für den «Faust», den grössten deutschen Theaterpreis nominiert wurde, von Podien zur Rezeption von Schoecks Musik oder zur Schutzwürdigkeit der Villa mit hervorragenden Konzerten finden ein immer grösser werdendes Stammpublikum. Auch eine kritische Auseinandersetzung mit der Biografie des Komponisten findet statt: Das diesjährige Festival wurde gestartet mit einem Gespräch zum Thema «Kunst und Politik im 20. Jahrhundert».

Ausgehend von der Kontroverse um die Sammlung Bührle in Zürich diskutierten die Musikwissenschaftlerin Inga Mai Groote, der Historiker und Autor Erich Keller und der online zugeschaltete New Yorker Musikjournalist Alex Ross auch über die Vergangenheit von Othmar Schoeck, dessen Karriere wegen seiner Beziehungen nach Deutschland am Schluss mehr litt als gewann. Seit der Uraufführung seiner letzten Oper Das Schloss Dürande 1943 in Berlin hatte er mit dem Vorwurf zu grosser Nähe zum damaligen Nazi-Deutschland zu kämpfen. Erst in jüngster Zeit wird wieder unverkrampfter über das Thema und sein Werk geredet. Nicht zuletzt auch dank Schoecks Nachfahren, die sich nicht gegen Nachforschungen wehren, sondern diese sogar mit grosser Offenheit anregen.

Die Runde war sich einig, Schoeck hat zwar wie viele Kulturschaffende vom Nationalsozialismus profitiert, aber: «Schoeck war kein Nationalsozialist», brachte es Erich Keller auf den Punkt. Kein Neonazi werde sich je auf Schoeck berufen. Mehr über die professionellen Netzwerke dieser Zeit und die Rezeption von Komponisten ausserhalb der «Avantgarde» zu erfahren, bleibt zudem eine interessante Aufgabe.

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v.l. Erich Keller, Kaspar Surber (Moderation), Alex Ross (online zugeschaltet), Inga Mai Groote. «Schoeck war kein Nationalsozialist», brachte es Erich Keller auf den Punkt. Foto: SMZ

Die Experimentierlust der Veranstalter und die Bereitschaft der geladenen Kunstschaffenden, sich darauf einzulassen, machen den Charme des Festivals aus. Dazu kommt die geschickte Einbettung lokaler Vereine und Aufführungsorte – vom Hotelsaal bis zur Pfarrkirche. Von der Blaskapelle bis zum Urschweizer Kammerensemble sind die Leute an Bord und sorgen damit für die Bodenhaftung der Veranstaltungen und den entsprechenden Publikumsaufmarsch. Dass die lokale Buchhandlung am Festival mit einem Büchertisch vertreten ist und bereits im Vorfeld das Schaufenster ganz auf «Schoeck» einstellt, zeigt nochmals eindrücklich, dass das Brunner Festival sich in der Region einen Namen geschaffen und einen Platz im Kulturherbst gefunden hat.

Uraufführung und Nachwuchsförderung

Das diesjährige Festival, das Anfang September über die Bühne ging, war dabei keine Ausnahme. Mit dem Mondrian-Ensemble spielte eine Formation von Weltformat auf. Die vier Frauen – Ivana Pristašová, Tamriko Kordzaia, Petra Ackermann und Karolina Öhman – liessen sich auf das Experiment ein, und statt in Klagenfurt, Zürich oder Wien Säle zu füllen, fuhren sie in die Provinz, wo sie mit viel Lust und Freude in der Werkhalle einer lokalen Holzbau-Firma aufspielten. Sogar eine Uraufführung einer Komposition des erst 22-jährigen Felix Nussbaumer fand Platz neben Werken von Dieter Ammann und wurde vom faszinierten Publikum bejubelt.

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Dieter Ammann und Felix Nussbaumer sprechen über das Auftragswerk. Das Mondrian-Ensemble trug Felix Nussbaumers Werk «between regions of partial shadow and complete illumination» for piano quartet zweimal hintereinander vor. Foto: SMZ

Nachwuchsförderung ist in wichtiges Anliegen des Festivals. Es pflegt deshalb schon länger eine Partnerschaft mit der Hochschule Luzern – Musik. Dieses Jahr erarbeitete ein Ensemble weit fortgeschrittener Studierender Othmar Schoecks selten gespielten Liederzyklus Gaselen op. 38. Unter der Leitung von Stefan Wirth begleitete es den Solisten Balduin Schneeberger, Bariton, und gestaltete einen passenden Kontrapunkt zu den Werken Ammanns und Nussbaumers.

Die Schoeck-Villa als Veranstaltungsort

Das vom Musikwissenschaftlichen Institut der Universität Zürich in Zusammenarbeit mit dem Festival ausgerichtete Symposium «Balzac auf der Opernbühne» (Leitung: Merle Fahrholz, Intendantin beim Aalto-Musiktheater Essen, und Inga Mai Groote, Professorin für Musikwissenschaft an der Universität Zürich) beschäftigte sich mit Opern-Adaptionen bis ins 21. Jahrhundert von Texten Honoré de Balzacs sowie dessen Schilderungen von Opernszenen als Spiegel der Gesellschaft. Luca Francesconi, der Komponist der Oper Trompe-la-mort aus dem Jahr 2016, nahm online an der Schlussdiskussion teil.

Die Referate von Günther Heeg und Anna Ricke behandelten Massimilla Doni in der Bearbeitung von Schoeck und Armin Rüeger. Die beiden waren sich einig: Das Werk besitzt eine grosse Bühnenwirksamkeit und sollte unbedingt wieder aufgeführt werden.

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v.l. Merle Fahrholz, Günther Heeg, Anna Ricke. Die Fachleute sind sich einig: Schoecks Oper «Massimilla Doni» sollte wieder aufgeführt werden. Foto: SMZ

 

Neben einer gemeinsam mit dem Historischen Museum Bischofszell liebevoll gestalteten Ausstellung zur Freundschaft von Othmar Schoeck und seinem Librettisten Rüeger, der hauptberuflich Apotheker in Bischofszell war, wird auch die von Lutz Grossmann mit seinem Ensemble aufgeführte Performance Oh Du Narr! lange nachhallen. Ausgehend von Artefakten im Atelier Schoeck regte die Truppe mit Spiel und Musik aus Schoeck/Rüegers Don Ranudo an, über das Festhalten an Dingen und Denkmustern nachzudenken.

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v.l. Annina Mosimann (Spiel), Nadja Tseluykina (musikalische Leitung), Lutz Grossmann (Regie/Spiel), Nicola Minssen (Ausstattung), Sarah Mehlfeld (Co-Regie, Dramaturgie), Evgeni Lukyanchyk (Saxofon), Eric Förster (Bariton). Das Ensemble beim Schlussapplaus nach der Performance «Oh Du Narr!» im Künstleratelier der Schoeck-Villa. Foto: SMZ

Das Schoeck-Festival hat sich etabliert und bietet Raum für andere kulturelle Ereignisse. Pedro Lenz, der bekannte Schriftsteller, der kürzlich in der nur zeitweise von den Erben bewohnten Villa Schoeck bei einer Lesung zu hören war, ist jedenfalls des Lobes voll. «Die Villa selbst, die praktisch noch so ist wie zur Anfangszeit, hat mich schon sehr beeindruckt. Was mich allerdings noch mehr beeindruckte, ist die Liebe und Leidenschaft, mit der Alvaro Schoeck und seine Geschwister sich für das Haus und das kulturelle Erbe der Familie engagieren. Sie tun es mit Herz und Gastfreundschaft, ohne jeden Dünkel, ohne Geltungsdrang, dafür mit dem Feuer derer, denen es wirklich um die Sache geht. Chapeau!»

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Blick aus dem Fenster des Künstlerateliers. Die Schoeck-Villa bietet Raum für verschiedenartige kulturelle Ereignisse. Foto: SMZ
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Transparenzhinweis: Die Schweizer Musikzeitung ist Medienpartnerin des Festivals. Der Historiker und Journalist Jürg Auf der Maur ist Redaktor beim Bote der Urschweiz.

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