Lucerne Festival Forward: Wegweisende Konzerterlebnisse schaffen

Mit dem neuen Format Lucerne Festival Forward wagt die Intendanz den Schritt ins Unbekannte. Es löst das bisherige Pianofestival ab.

Lucerne Festival Forward: Museumskonzert. Foto: Peter Fischli, Lucerne Festival

Neue Musik hat unter Intendant Michael Haefliger schon immer eine wichtige Rolle gespielt beim Lucerne Festival, auch im sommerlichen Hauptprogramm. Pierre Boulez war viele Jahre die schillernde Persönlichkeit der Academy, in der sich junge Musikerinnen und Musiker mit der Interpretation neuartiger Stücke auseinandersetzten. Heute obliegt die Künstlerische Leitung der Academy Wolfgang Rihm.

Für diese einzigartige Gemeinschaft an Interpreten und Interessierten der Academy wurde nun also vom 19. bis 21. November das Forward-Festival lanciert, das sich betont «jung» und «zukunftsgerichtet» gibt. Waren zuvor am Pianofestival Klavierstars zu erleben, suchen nun der Leiter der Sparte Contemporary, Felix Heri, und sein Dramaturg Mark Sattler Zuhörerinnen und Zuhörer, die sich nicht auf grosse Namen, sondern auf neue Raumkonzepte, Interaktion und Elektronik einlassen.

Zu diesem mutigen Aufbruch in Richtung Zukunft gehört auch die Gründung des Lucerne Festival Contemporary Orchestra (LFCO), das sich auf Partituren des 20. und 21. Jahrhunderts fokussiert und neben Konzerten im Sommer auch dieses neue Festival bestreitet. So international das Orchester auch bestückt ist, man sucht beim Lucerne-Festival dennoch den Kontakt zu lokalen Veranstaltern wie dem Forum Neue Musik Luzern und dem Kinderkulturfestival Kultissimo der Regionalstelle Zentralschweiz der Stiftung Pro Juventute.

Für Kinder und Eltern

Ein Kinderkonzert fand am Sonntag um 12 Uhr im Probesaal des KKL statt, für den Zugang versammelte man sich vorab beim Künstlereingang, was nicht allen klar war. Doch schliesslich trafen sich alle Neugierigen am richtigen Ort. Das bereitstehende Instrumentarium sah vielversprechend aus. Ein Flügel, ein Marimbafon und ein Kontrabass, ein Hocker zum Draufsitzen und Trommeln, und vorne am Boden viele farbige Plastikrohre, nach Farben auf Töne gestimmt.

Kinderkonzert mit Helga Karen, Maggie Hasspacher, Xizi Wang. Foto: Priska Ketterer, Lucerne Festival

Die 15 Kinder sassen im Halbrund am Boden, ihre Eltern hinter ihnen auf Stühlen. Alle waren sofort gebannt von den drei dynamischen Musikerinnen Helga Karen, Maggie Hasspacher und Xizi Wang. Was sie an spielerischen Variationen über das Lied Alle Vögel sind schon da hervorzauberten, war toll. Dann wurden die Rohre und Rasseln im Publikum verteilt, alle ahmten den vorgegebenen Bolero-Rhythmus nach, es wurde lauter, aber auch wieder leiser. Eine pfiffige Darbietung musikalischer Kreativität, die auch den Erwachsenen Spass machte.

Improvisationen und Performances

Neue Musik hat vielerorts neue Räume erobert, oft wird sie in Kunsthallen oder draussen auf öffentlichen Plätzen gespielt. Im KKL bietet sich das Kunsthaus geradezu an. So improvisierten Mitglieder des LFCO am Samstag um 16 Uhr zu den luftigen Installationen der argentinisch-schweizerischen Künstlerin Vivian Suter.

Oder dann die Performance-Künstlerin Winnie Huang, die während des ganzen Festivals zu 15-minütigen Eins-zu-Eins-Begegnungen einlud. Ich betrete ihre Box, die mit schwarzen Tüchern verhangen ist, Winnie Huang sitzt auf einem Stuhl, ich als Besucherin ihr vis-à-vis. Es ist unheimlich still und dunkel hier drin, der Scheinwerfer fokussiert ihre Hände, die Finger beginnen sich langsam zu bewegen. Ich folge ihren feinen Bewegungen, ihrem schweifenden Blick, jedes Detail wird überdeutlich wahrgenommen – eine Erfahrung für sich.

One to One mit Winnie Huang.Foto: Priska Ketterer, Lucerne Festival

Ob eine Open-Air-Veranstaltung in einer kalten Novembernacht um 22 Uhr wirklich Sinn macht? Für das Eröffnungskonzert am Freitagabend, das auf der Terrasse des KKL stattfand, waren jedenfalls kaum mehr Leute gekommen. Schade für das originelle Stück Workers Union von Louis Andriessen (1939–2021), das er «für ein beliebiges Ensemble laut klingender Instrumente» geschrieben hat.

Interaktion mit Raum und Publikum

Im Hauptsaal fanden dann die vier «konventionelleren» Konzerte mit dem LFCO statt, geleitet wurde es von Mariano Chiaccharini und Elena Schwarz. In diesen Programmen waren überraschend viele Komponistinnen vertreten, u. a. so renommierte Musikerinnen wie Liza Lim, Pauline Oliveros, Rebecca Sounders und Olga Neuwirth. Neuwirths spektakuläres Filmmusikprojekt Construction in Space für vier Solisten, vier Ensemblegruppen und Live-Elektronik sorgte am Sonntagabend für Furore.

Bei allen präsentierten Kompositionen spielten die Räumlichkeit, also der KKL-Konzertsaal, und das Interagieren mit dem Publikum eine wichtige Rolle, besonders bei den Auftragswerken des Lucerne Festivals, die im 3. Konzert uraufgeführt wurden. So liess etwa Patricia Martinez (geb. 1973) während ihres Ensemblestücks Field das Publikum einen tiefen Ton summen. Und Dahae Boo (geb. 1988) überraschte mit ihrem dramaturgisch dichten Stück D’où à où, bei dem die Solo-Cellistin auf der Bühne mit den sechs im Raum verteilten Instrumentalisten auch gestisch interagierte.

Nicht nur dieses Konzert war abwechslungsreich und originell konzipiert, das Forward-Festival lockte schon bei seiner ersten Ausgabe erstaunliche 1300 Besucherinnen und Besucher an. Mit seinen unterschiedlichen Formaten und spielerischen «Events» befreit es die Neue Musik aus ihrem exklusiven Kreis.

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Ensemble des LFCO unter der Leitung von Mariano Chiacchiarini: «Extinction Events and Dawn Chorus» von Liza Lim. Foto: Peter Fischli/Lucerne Festival

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