Knochenflöten, Darmsaiten und vegane Basler Trommeln

Die Fragen nach der Musikalität der Tiere und unserer Verwendung tierischer Substanzen für den Bau von Musikinstrumenten stehen im Zentrum einer Ausstellung, die noch anderthalb Jahre zu sehen ist.

Blick in die Ausstellung. Foto: Historisches Museum Basel, Natascha Jansen

Unter dem Motto «tierisch!» vereinigen sich in Basel vier Museen zu zeitlich weiträumigen Auseinandersetzungen mit der Tierwelt in vielen Kulturen. Nebst dem Antikenmuseum Basel und Sammlung Ludwig (Tiere und Mischwesen in der Antike), dem Pharmaziemuseum der Universität Basel (Vom Tier zum Wirkstoff) und dem Museum der Kulturen Basel (Keine Kultur ohne Tiere) beteiligt sich an diesem Grossprojekt auch das Musikmuseum des Historischen Museums Basel. Seine Ausstellung in den Räumen des ehemaligen Untersuchungsgefängnisses Lohnhof trägt den doppelbödigen Titel Der Klang der Tiere. Er gilt für die von Tieren selber erzeugte sowie die vom Menschen mit tierischen Materialien hervorgebrachte Musik.

Versammelt der erste Teil allerlei Singvögel zum Musizieren, so führt der zweite ebenso eindrücklich vor Augen und Ohren, wieviel Substanz von Tieren in Musikinstrumenten steckt.

Über 16Multimediastationen ist nicht nur viel über den Walgesang, Tiere in der klassischen Musik oder den Klang der Naturhörner zu erfahren, sondern auch über Skurrilitäten. So wird etwa die historische Vogelorgel «Serinette» kommentiert, deren Name sich vom Zeisig (französisch: Serin) ableitet (Anm. Red. siehe Artikel Le serinage des oiseaux von Laurent Mettraux in SMZ 1/2019, S. 16). Sie diente dazu, einem im Käfig gefangenen Singvogel bestimmte Melodien beizubringen. Um Vögel allgemein zum Singen zu animieren, wurde eine Vogel-Flageolett genannte Blockflöte verwendet. Natürlich fehlen im Kinderzimmer musizierende oder tanzende Tiere nicht, wie denn zahlreiche Exponate speziell auf Kinder ausgerichtet sind. In kleinen Höhlen können die in Kinderliedern vorkommenden Lieblingstiere ausfindig gemacht werden.

Herkömmliche und künftige Materialien

Am ausführlichsten vorgestellt werden tierische Werkstoffe im musikalischen Umfeld. Kaum zu glauben, was es für die Herstellung einer Schellackplatte brauchte: 12 600 asiatische Lackschildläuse, kaum einen Millimeter kleine Winzlinge, lieferten ihr Sekret zur Gewinnung von 15 Prozent Schellack-Anteil an diesem historischen Tonträger. Weniger lausig, jedoch immer noch bedenklich gross sind die von Tieren geforderten Opfer bei der Herstellung von Saiten. Für zwölf dünne Violin-E-Saiten werden 29 Meter Tierdarm benötigt, für eine dicke Kontrabasssaite Darm von acht Schafen.

Bisher kaum Bekanntes ist über den Beruf des Pergamenters zu erfahren; Ungewohntes ist zu sehen wie etwa in einem Glas konservierte Tierdärme, ein Spannrahmen zur entsprechenden Saitenproduktion, Perlmutter an einer Handharmonika, Schildpatt an diversen Instrumenten und vielerlei Arten von Tierhäuten. Eine eigens für die Ausstellung aus künstlichen Materialien konstruierte vegane Basler Trommel weckt Hoffnungen auf eine längst fällige Reduzierung der tierischen Rohstoffe. Spätestens mit diesem Objekt regt die Ausstellung zum Nachdenken über Tierrechte und neues Materialbewusstsein an.

Farbige statt klangliche Umsetzung

Als ältestes Exponat springt eine zwischen 70 und 110 n. Chr. in Augusta Raurica aus Hundeknochen gefertigte römische Flöte in die Augen. Ob eine weitere aus Kranichknochen einen sangbareren Klang erzeugte, ist nicht zu erfahren, wohl aber die Menge von Pferdeschwanzhaaren, die es zur Bespannung eines Streicherbogens braucht, rund 170 – eine beachtliche Zahl.

Nach bedrückenden Informationen über Elfenbeinhandel zugunsten von Klaviertasten und anderes Tierleid wirkt die letzte Gefängniszelle wie ein fröhlicher Befreiungsschlag. Speziell für Kinder eingerichtet, stellt der farbenfrohe Raum aus ästhetischer Sicht das abschliessende Highlight der Ausstellung dar. Die Wände sind mit Vergrösserungen von Notenheften tapeziert, deren Titelblätter von renommierten Künstlern und Grafikern wie Pierre Bonnard, Clérisse Frères, Fritz Erler oder Willy Herzig gestaltet wurden. Da kommt der Klang der Tiere in Klavierstücken, Liedern, Modetänzen und Schlagern aus den 1920er-Jahren zu einer zwar stummen, künstlerisch aber vielstimmigen Entfaltung. Unter den Komponisten ragen Reger und Tschaikowsky, Bartók und Benatzky, Jacques Ibert und Richard Strauss hervor. Die aus der Privatsammlung des Basler Grafikers Jacques Hauser stammenden Titelblätter zu Kompositionen über vielerlei Tierarten rufen nach klanglicher Umsetzung. Die Rahmenveranstaltungen drehen sich jeweils um ein «Tier des Monats». Es ist zu hoffen, dass nach den bis im Sommer 2022 geplanten Vorträgen entsprechende Konzerte dazuzählen werden. (www.hmb.ch).

Isabel Münzner und Anne Hasselmann haben mit starker Berücksichtigung von Basler Leihgaben und geschärftem Umweltbewusstsein die ungemein informative Ausstellung kuratiert, in Zusammenarbeit mit der ebenso einfallsreichen Gestalterin Manuela Frey.

Für Schulen werden Führungen und Workshops angeboten. Ein Dossier für Lehrpersonen enthält zudem Einführungen in die Themenbereiche und Fragen, die in der Ausstellung zu lösen sind. Auch die Nutzung von Tieren und deren Rechte wird einbezogen. Die von allen vier Museen gemeinsam herausgegebene Begleitpublikation enthält einen Beitrag von Isabel Münzner, der besonders auf die umstrittene Musikalität der Tiere und den Gesang der Wale eingeht.

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