Zappa, Varèse, Waespi: Wenn sich Rock und Klassik finden
Überraschende Programme sind Teil der DNA der Basel Sinfonietta. Das Konzert mit Musik von Frank Zappa und einem neuen Werk von Oliver Waespi passt also genau.
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Seit 41 Jahren bekennt sich die Basel Sinfonietta dazu, nebst Unbekanntem und Bekanntem auch Zeitgenössisches in ungewöhnlichen Besetzungen und Konzertformen zur Aufführung zu bringen. An diese Prämisse hält sich das Orchester auch zum Abschluss der Saison 2020/21. Auf dem Programm im Stadtcasino Basel stehen dabei nicht nur drei Werke von Frank Zappa, dem 1993 verstorbenen Rockprovokateur, sondern auch die Uraufführung eines Drumset-Konzerts aus der Feder des Komponisten Oliver Waespi – mit dem Schweizer Schlagzeuger Jojo Mayer als Solist.
Im Vorfeld des Konzertes mit dem Titel Jojo, Zappa und Rock’n’Roll verriet Dirigent Baldur Brönnimann, dass es ursprünglich im Freien hätte stattfinden sollen. «Wir wollten Waespi mit Werken von Bernhard Gander und anderen kombinieren, schliesslich mussten wir das Orchester verkleinern und ohne Pause spielen.» Was die pandemiebedingten Herausforderungen für den Kulturbereich gut illustriert. Immerhin: Dank dem Abflachen der Ansteckungskurve lässt sich der Abend endlich wieder vor Publikum durchführen, was Daniela Martin, Geschäftsführerin der Basel Sinfonietta, bei ihrer Einführung als «aufregenden Moment» bezeichnet. Sie bilanziert: «Es war eine Saison der Wogen, aber wir haben sie gemeistert.»
Frank Zappa und Edgar Varèse
Eröffnet wird die Aufführung mit Dupree’s Paradise von Zappas 1984er-Album The Perfect Stranger. Das rund siebenminütige Stück, das, wie der Komponist sagte, im Jahr 1964 während einer Jamsession frühmorgens in einer Bar in Los Angeles spielt, präsentiert sich wie ein experimenteller und betont expressiver Film-Soundtrack: Auf frühlingshaft anmutende und optimistische Momente folgen rasch düstere Exkursionen, die bisweilen an George Gershwin erinnern. Im Mittelpunkt stehen dabei die ständig wechselnden Rhythmen, die sich steigern und abflachen wie ein Gespräch, das langsam in die Gänge kommt, dann an Fahrt aufnimmt, nur um wieder zu versanden. Bis das Ganze nach einer neuerlichen Steigerung mit raumgreifender Instrumentierung und einem Knall endet.
Danach ist die Reihe an Get Whitey. Das Werk von 1992 fokussiert auf komplexe Rhythmen und polyrhythmische Strukturen und wirkt wie die Untermalung eines unverhofften Zusammentreffens. Eines, bei dem sich etwa Klarinette, Harfe oder akustische Gitarre erst schüchtern beschnuppern und äussern, sich dann aber zusehends selbstbewusst und fordernd geben. Bevor die Sinfonietta diesen Konzertteil abschliesst, erzählt Brönnimann von Zappas 15. Geburtstag und seinem Wunsch, mit seinem Vorbild Edgar Varèse telefonieren zu dürfen. Zwar kam der Anruf zustande, bloss der Komponist war nicht zu Hause. Was der lebenslangen Faszination Zappas für dessen Arbeiten jedoch keinerlei Abbruch tat. Das legt auch The Perfect Stranger von 1994 nahe. «Es weist viele Anklänge an Varèses Stück Déserts auf», bestätigt Brönnimann. Laut Zappa soll das Werk von einem Staubsaugervertreter handeln, der sich ausschweifend mit einer nachlässigen Hausfrau unterhält. Das äussert sich in schier trunkenen Motiven, die auf immer wieder aufwallende Westernmotive treffen und mit gezupften Saiteninstrumenten und Paukenschlägen aufwarten. Es ist eine höchst gelungene und neugierige Auseinandersetzung zwischen E- und U-Musik, bei der die Rhythmen einem konstanten Katz-und-Maus-Spiel unterzogen werden – herausfordernd und lohnend zugleich.
Jojo Mayer und Oliver Waespi
Während die Bühne für den letzten Programmteil umgebaut wird, finden sich darauf nebst dem Dirigenten auch Komponist Oliver Waespi und Drummer Jojo Mayer ein, um sowohl über Frank Zappa als auch ihre eigene Zusammenarbeit zu sprechen. Sie habe sich, sagt Brönnimann, als tolles Erlebnis entpuppt. Dies insbesondere, weil dabei die Schnittmenge von Rock und Klassik zum Tragen komme. Auf die Frage, wie er an die Komposition seines neusten Stück Volatile Gravity herangegangen sei, erklärt Waespi: «Wie viele Musiker kann ich zwar nicht sonderlich gut tanzen, doch ich fühle mich als Rhythmusmensch.» Sein dreiteiliges Werk für Drumset und Orchester versteht sich als eine Art musikalische Erkundung einer Stadt. Die Form des Stücks artikuliert sich dabei entlang eines imaginären urbanen Raums mit mehreren Zentren – aufgespannt zwischen bebauten und unbebauten, strukturierten und offenen Bereichen. Live spiegelt sich das im ersten Teil mit dem Titel High Frequency Trading wider, der in Nullkommanichts von 0 auf 100 schaltet und sowohl für Dynamik als auch Dramatik besorgt ist.
Zunächst geht das Schlagzeug von Jojo Mayer im Orchestermeer zwar schier unter, doch kraft seiner Beharrlichkeit und Virtuosität gelingt es dem in New York wohnhaften Künstler, sich zunehmend in den Mittelpunkt zu spielen und die sich bietenden Improvisationsmöglichkeiten zu nutzen. Bisweilen wirkt die Musik wie ein Hochseilakt ohne Sicherheitsnetz: Mayers Patterns tänzeln über den wogenden Wellen, die das Orchesters unablässig aufwirft. Man spürt: Der Schiffsbruch ist nur einen Ruder- respektive Schlagzeugschlag entfernt, doch gemeinsam wird die Herausforderung gemeistert. Auch, weil es Mayer versteht, in seinen Solos die Einwürfe der Orchestermusiker aufzunehmen und mit Wucht und Präzision darauf zu antworten. Die aufeinandertreffenden Kräfte von Orchester und Solist sind nicht nur ebenbürtig, sondern es gelingt den Beteiligten, sich je länger je mehr zu finden – und zu vereinen. Das Resultat ist pulsierende Musik, die gleichermassen aus Rock und Klassik schöpft und den geschaffenen Spannungsbogen bis zum Schluss hochhalten kann.
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Oliver Waespi, Jojo Mayer und Baldur Brönnimann (vorne, von links). Foto: Zlatko Mićić/Basel Sinfonietta