Mieg-Abend: Aargauer Charme

Der von Kultur Kehrsatz veranstaltete Mieg-Abend ist ein Beispiel dafür, wie Deutschschweizer Musikkultur aus der Mitte des vorigen Jahrhunderts bewahrt und gepflegt werden kann.

Peter Mieg, 1959. Foto: Thomas Cugini

Eigentlich hätte der Flötist Jean-Luc Reichel letztes Jahr gerne Peter Miegs Flötenkonzert aufgeführt, auf das er grosse Stücke hält. Wie so viele andere wurde auch dieses Projekt ein Opfer der Pandemie. Dass Reichel nun gemeinsam mit seiner Musikpartnerin Joyce-Carolyn Bahner am Klavier einige Werke Miegs im kleinen Rahmen präsentieren konnte, war den ersten zaghaften Lockerungen des nationalen Pandemie-Regimes zu verdanken. Eingeflochten zwischen die Stücke Les plaisirs de Rued und Les Délices de la flûte für Flöte solo sowie einen Satz aus der Klaviersonate IV und der Sonate für Flöte und Klavier waren Lesungen des Literaturwissenschaftlers und Übersetzers Markus Hediger. Er betreibt auf Youtube sogar einen Kanal mit Werken Peter Miegs, auch Les Délices de la flûte können da in Reichels Version abgehört werden.

Die Welt in der Provinz

Hedigers Charakterbeschreibungen und Anekdoten über Mieg, den er persönlich kannte, zeichneten ein vergnügliches Sittenbild der Deutschschweizer Kultur Mitte des 20. Jahrhunderts. Miegs Hang zum Perfektionismus und seine anstrengende Suche nach perfekten, manchmal auch eigenbrötlerischen Lösungen bis ins Detail entsprachen dem Zeitgeist, der in Disziplinen wie Fotografie oder Typografie dem Schweizer Kunsthandwerk zu Weltruhm verholfen hat. Dazu passte auch Miegs Koketterie mit dem Kontrast von Provinz und Weltläufigkeit, wenn er seine (Flöten-)Werke etwa mit Titeln wie Les charmes de Lostorf, Les Jouissances de Mauensee oder Les humeurs des Salis versah. Als Lenzburger verkörperte er selber ja sozusagen die Provinz der Provinz: eine Gegend, auf die das selbstgefällige Wirtschaftszentrum Zürich kulturell heute noch gerne gönnerhaft hinunterblickt und damit leben muss, dass der übermächtige Kulturriese Deutschland mit seinen Metropolen München, Berlin und so weiter die Limmatstadt wiederum etwa gleich herablassend beäugt.

Am Rand zu stehen, prägte aber auch auf ästhetischer Ebene das Wirken Miegs. Das kompositorische Handwerk eignete er sich ausserhalb der institutionellen Musikausbildung an, was ihn trotz gelegentlichem Anbändeln mit zeitgenössischen Techniken wie der Dodekafonie zur Avantgarde Distanz halten liess. Identität bot ihm, wie Tom Hellat und Anna Kardos in ihrer Mieg-Monografie Auf der Suche nach dem eigenen Klang (Hier und Jetzt, Verlag für Kultur & Geschichte, Zürich 2016) schreiben, die Figur des Aschenbrödels: Mieg begegnete ihr in einer Aufführung des gleichnamigen Balletts des Westschweizer Tonschöpfers Frank Martin. Bei ihm als Lehrer oder vielmehr Ratgeber («Coach» würde man heute wohl sagen) vervollkommnete er seine kompositorischen Kenntnisse. Später wurden auch Gottfried von Einem und Alexander Tscherepnin zu Freunden.

Seit Dieter Ammann und Sol Gabetta, aber eigentlich schon seit der Gründung des Künstlerhauses Boswil spielt der Aargau musikalisch in der ersten Liga, auch wenn man das in Zürich eher zögerlich zur Kenntnis nimmt. Einige Werke Miegs befinden sich da durchaus auf Augenhöhe. Ein literarisches Denkmal gesetzt hat ihm zudem der Schriftsteller von Weltformat Hermann Burger, der – nebenbei gesagt – auf Schloss Brunegg Untermieter von Peter Miegs Cousin Jean Rudolf von Salis war. Burger sei heute vergessen, meinte Hediger in Kehrsatz, habe Mieg aber in seinem Roman Brenner verewigt, und zwar mit dem Kunstnamen Edmond de Mog, der ihn in die Nähe des Zürcher Dirigenten Edmond de Stoutz rückte, mit dem Mieg auch befreundet war.

Das Französische ist nicht mehr das Mass aller Dinge

Dass Mieg nicht auch vergessen geht, dafür sorgt die Peter-Mieg-Stiftung, die der Komponist noch selber ins Leben gerufen hat. Definitiv geadelt wurde Mieg durch die Basler Paul-Sacher-Stiftung. Sie hat 2018 seinen musikalischen Nachlass übernommen. Die Mieg-Stiftung wiederum hat auf die Pandemie-Situation reagiert und Musiker und Musikerinnen dazu aufgerufen, ein Kammermusikwerk Miegs einzustudieren und online zu publizieren, um sie so «in der Corona-Pandemie mit einem Honorar unterstützen zu können». Eine originelle Idee, die möglicherweise dazu geführt hat, dass Miegs Schaffen mehr Aufmerksamkeit erhielt, als es zu normalen Zeiten der Fall gewesen wäre.

Als Zugabe nach dem Konzert in Kehrsatz spielten Joyce-Carolyn Bahner und Jean-Luc Reichel den ersten Satz aus Poulencs Flötensonate. Sie schlugen damit die Brücke zur französischen Kultur, die Miegs Werk, wie dasjenige vieler seiner Deutschschweizer Altersgenossen, stark beeinflusst hat. Dass uns diese Phase der eidgenössischen Kultur mittlerweile etwas fremd scheint, hat zweifelsohne auch damit zu tun, dass die damalige Begeisterung für alles Französische heute praktisch verloren gegangen ist. Blick und Emotionen sind mittlerweile aufs Englische und den Osten ausgerichtet.


Red. SMZ. Eine weitere Gelegenheit, sich mit Musik von Mieg und einigen seiner Schweizer Zeitgenossen auseinanderzusetzen, bietet das Othmar-Schoeck-Festival in Brunnen vom 10. bis 12. September 2021 unter dem Motto «Passé composé – Neoklassizismus in der Schweiz».

www.schoeckfestival.ch

Markus Hedigers Youtube-Kanal:
https://www.youtube.com/user/cygnebleu

Peter-Mieg-Stiftung:
http://www.petermieg.ch

Peter Mieg auf neo.mx3
https://neo.mx3.ch/petermieg

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