Unerhörtes von Frauen

Ein erster Teil des Festivals «frauenkomponiert» fand um den Internationalen Frauentag in London und Basel statt. Im Juni geht es in Basel, Bern und Zürich weiter mit Stücken herausragender Komponistinnen.

Jessica Horsley ist eine Spezialistin für Musik vom späten 19. bis zum 21. Jh. Foto: Susanna Drescher

«frauenkomponiert», gegründet 2015, findet dieses Jahr zum fünften Mal und neu in internationalisierter Form statt. Die künstlerische Leiterin, die britisch-schweizerische Dirigentin Jessica Horsley, stellte gegenüber den Vorjahren ein stark erweitertes Programm auf die Beine. Horsley studierte unter anderem an der Schola Cantorum Basiliensis und hat ihren Wohnsitz in Basel. Bei der Planung redete wohl der Optimismus, das Virus werde bald besiegt sein, ein gewichtiges Wort mit.

Der Leitgedanke des Festivals, «Kompositionen des 9. bis 21. Jahrhunderts von Frauen aus verschiedenen Ländern zum Klingen zu bringen» (Webseite), ist nicht nur lobenswert, sondern ein Gebot der heutigen Zeit, zumal es viele dieser «unerhörten Klänge» verdienen, der Musikwelt zugänglich gemacht zu werden.

Zum Festivalauftakt debütierte Jessica Horsley am 8. März mit dem BBC Concert Orchestra. Das Konzert wurde auf BBC 3 live aus dem zuschauerfreien Watford Colosseum im Norden Londons übertragen und trug den Titel «Pionierinnen eines Jahrhunderts 1921–2021». Auf dem Programm stand Sinfonik der Britin Ruth Gipps (1921–1999) und der Australierin Peggy Glanville-Hicks (1912–1990). Damit brachen die Veranstalter sozusagen in eine Männerdomäne ein, denn spätromantische Orchestermusik von Frauen kommt im Standardkonzertrepertoire von heute noch immer selten vor. Dazwischen war die Uraufführung der revidierten Fassung von Cécile Martis Wave trip für grosses Orchester aus dem Jahre 2011 zu erleben.

Eine Ur- und zwei Erstaufführungen

Ruth Gipps studierte unter anderem bei Ralph Vaughan Williams. Sie lehnte als Komponistin zeitlebens Atonalität, Zwölftonmusik und Serialismus strikt ab. Ein früher Erfolg gelang ihr 1942 mit dem Orchesterpoem Knight in Armour, das an der «Last Night of the Proms» uraufgeführt wurde.

Den Auftakt des Konzerts bildete die 2. Sinfonie op. 30 (1946). Gipps arbeitet mit grossen Gesten, ein bisschen Hollywood, doch instrumentiert sie abwechslungsreich und farbig. Horsley setzt zusammen mit dem famosen Orchester auf Transparenz, einen schlanken Ton und arbeitet eine fein abgestufte Dynamik und markante Tempowechsel heraus, gibt aber auch dem Pathos Raum.

Peggy Glanville-Hicks, ebenfalls Schülerin von Ralph Vaughan Williams, hinterliess ein grosses und vielseitiges Œuvre. Jessica Horsley sagte auf BBC 3 über die Komponistin: «She is an amazing person, her music speaks to us, it’s an incredibly direct music.» Im Londoner Konzert erlebte Glanville-Hicks’ Ballettmusik Tragic Celebration (1964) ihre britische Erstaufführung. Sie ist dem amerikanischen Choreografen John Butler gewidmet, der die meisten ihrer acht Ballettmusiken auf die Bühne gebracht hat. Das Stück beinhaltet märchenhafte, idyllische Stimmungen bis hin zu Dramatik – eine dankbare Vorlage für ein klassisches Ballett.

Die Sinfonia da Pacifica (1953), ebenfalls eine britische Erstaufführung, überzeugt durch schmissige Rhythmen, pulsierende Perkussion in Verbindung mit einer direkten, unverblümten Melodik. Jessica Horsley charakterisiert das Stück als «optimistic and brilliant».

Cécile Marti habe ihr Stück Wave trip unter dem Eindruck der Covid-19-Pandemie umgeschrieben, sagte die Dirigentin, denn mit dem Wort «Welle» assoziiere man in der gegenwärtigen Krise ganz neue Phänomene, die mitberücksichtigt werden müssten. Haften bleibt ein voller, farbiger Orchestersound mit auf- und abführenden Glissandi, die in unterschiedliche Intervallschichtungen und stehende Klanggebilde münden. Das BBC Concert Orchestra vermittelte ein schmerzend-schönes Hörerlebnis.

Glückssache Livestream

Livestream kann eine gute Alternative sein, doch gibt es da und dort noch Kinderkrankheiten. Von den weiteren drei Festivalkonzerten im März (in Kooperation mit lokalen Konzertreihen in Basel) waren zwei nicht geniessbar; das eine aufgrund ständiger Stockungen und das zweite wegen einer extrem schlechten Tonqualität. Matthias Wamser spielte an der Elisabethenorgel ein spannendes Programm mit Stücken von Elsa Barraine, Ilse Gerényi, Violeta Dinescu und Maria Hofer. Die Ladepausen waren allerdings schlicht zu lang, um einen konsistenten Eindruck zu bekommen. Susanne Doll, Orgel, und Carmit Natan, Sopran, waren aus der Leonhardskirche mit gefühlvollen Liedern der israelischen Songwriterin Naomi Shemer zwar ohne Unterbrechungen, doch leider nur sehr verzerrt zu vernehmen.

Die Abendmusiken aus der Predigerkirche bewiesen dagegen, dass Livestream funktionieren kann. Absolut störungsfrei konnte ein schönes Programm unter dem Titel «Chiara Margarita Cozzolani und die Nonnen von S. Radegonda» genossen werden. Unter der Leitung von Jörg-Andreas Bötticher brachten ein kompetentes Instrumentalensemble und hervorragende Solistinnen und Solisten Kompositionen Cozzolanis, der hochmusikalischen Mailänder Nonne aus dem 17. Jahrhundert, zu Gehör.
Im Juni 2021 findet das Festival in Basel, Bern und Zürich seine Fortsetzung.

Link zu neo.mx3

Cécile Marti

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