PGM: Lichterlöschen verhindern
Der Musiksektor befürchtet einen Kahlschlag im Ökosystem Kultur.
Die Parlamentarische Gruppe Musik (PGM) konnte an ihrem zweiten Treffen dieses Jahres gar nicht anders. Sie musste sich wohl oder übel mit den Folgen der Coronakrise beschäftigen. War das Thema im Frühjahr zwar präsent, aber noch nicht wirklich traktandiert gewesen, hiess das Motto nun «5 Monate Covid-19-Sturm: Folgen und Folgerungen für den Musiksektor». Und letztere sind nun wirklich drastisch, wie Stefano Kunz, der Leiter der politischen Arbeit des Schweizer Musikrates, eingangs ausführte. Die Umsätze der Branche dürften – mit Blick auf die heuer um rund zwei Drittel geringer ausfallenden Lizenzeinnahmen aus den Aufführungsrechten (aus Konzerten, Musik im Gastgewerbe oder Unterhaltungsanlässen) der Suisa – dieses Jahr massiv einbrechen. Auch 2021 rechnet die Suisa mit markant tieferen Umsätzen im Vergleich zu 2019.* Das wird empfindliche langfristige Konsequenzen für die Musikschaffenden haben, die in den kommenden Jahren mit deutlich kleineren Ausschüttungen der Urheberrechtsgesellschaft rechnen müssen.
Freischaffende am Abgrund
Damit nicht genug. Ein weiterer wichtiger Teil der Einnahmen bricht ebenfalls weg: Die Musikschulen berichten von einem Rückgang der Schülerzahlen von bis zu 20 Prozent. Vor allem freischaffende Musiklehrpersonen bekommen dies zu spüren. Für den Musikrat war deshalb klar, dass die bisherigen Finanzhilfen durch den Bund weitergeführt werden müssen – was der Nationalrat am selben Tag denn auch beschloss, der Ständerat am Tag darauf vorerst erneut verwarf. Freischaffende und Selbständige sollten überdies endlich Zugang zu Arbeitslosenversicherung (ALV) und Erwerbsausfallentschädigung (EO) erhalten.
Nicht viel Besseres hatte Beat Santschi, der Vertreter des Schweizerischen Musikerverbandes (SMV) mitzuteilen. Die festangestellten Orchestermitglieder sind durch die Gesamtarbeitsverträge zwar nach wie vor geschützt und mussten bislang teilweise «nur» Lohneinbussen von bis zu 20 Prozent hinnehmen. Auch in der Orchesterlandschaft leiden die Freischaffenden am meisten, sind sie doch die ersten, auf welche die Orchester verzichten. Wie sich das Konzertleben und damit die Einnahmen der Orchester entwickeln werden, ist allerdings völlig unklar. Die Veranstalter verlangen deshalb immer dringender, dass sie im Falle von Konzertabsagen von jeglichen Verpflichtungen befreit werden. Nach sieben Monaten Krise stünden viele Freischaffende nun definitiv am finanziellen Abgrund, betonte Santschi.
Christoph Trummer, der Leiter politische Projekte bei Sonart, dem Berufsverband der Freischaffenden, zeigte auf, was das für ihn selber bedeutet: Die meisten seiner Konzerte wurden abgesagt oder auf nächstes Jahr verschoben, für die ab Dezember geplante neue Tour ist seit April ein einziges Booking eingegangen. Auftritte mit Eintrittsbeteiligung seien finanziell unberechenbar geworden. Die geschäftlichen Fixkosten – vornehmlich eine Miete von 650 Franken – werde von 750 Franken EO gerade so gedeckt. Die Planung der Saison 2021 sei, so Trummer, praktisch unmöglich. Querfinanzierungsmodelle würden wegfallen, grössere Festivals werde es kaum geben, damit stünden auch die Agenturen vor dem Nichts. Zu befürchten sei ein Kahlschlag im Ökosystem Kultur.
Umsatzeinbrüche bei den Veranstaltern
Den Vorstellungen vieler Politiker, das Gröbste sei für die Kultur ja nun ausgestanden, weil Veranstaltungen – auch grössere – wieder möglich seien, widersprachen die ebenfalls anwesenden Vertreter der Musikclubs, Festivals und Labels sowie Musikmanager. Ein typischer Musikevent hat einen Vorlauf von rund einem halben Jahr. Bereits in der Programmgestaltung zeigen sich noch immer hohe Hürden: prohibitive Auflagen, Planungsunsicherheit aufgrund wechselnder Einreisebestimmungen und unberechenbarer kurzfristiger Bewilligungsentzüge machen die Organisation zur Lotterie. Die Ticketverkäufe sind ganz und gar nicht wieder auf Vor-Corona-Niveau. Dies alles führt dazu, dass die meisten Veranstalter nach wie vor mit Umsatzeinbrüchen von 80 bis 100 Prozent konfrontiert sind. Ihre Liquidität reiche durchschnittlich noch für ein halbes Jahr, dann heisse es bei vielen: Lichterlöschen.
Die Taskforce Culture des Schweizer Musikrates hat nach den Ständeratsentscheiden bei den Parlamentariern intensiv lobbyiert. Schliesslich ist eine Woche nach dem Treffen der PGM auch der Ständerat weitgehend auf die Nationalratslinie eingeschwenkt. Die Unterstützungsmassnahmen für Selbständige und Freischaffende werden mit Vertrauen auf die Selbstdeklarationen der Betroffenen weitergeführt, wenn auch nicht bis Ende 2021, wie es die Taskforce Culture gefordert hatte, sondern vorerst bis Mitte Juni nächsten Jahres.
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Passage zur Suisa am 21. September 2020 geändert aufgrund einer Präzisierung durch die Kommunikationsabteilung der Suisa.