«Man darf nicht in Vergessenheit geraten»
Die Salzburger Festspiele finden im August statt, die Berliner Philharmoniker spielen unter deutschen Auflagen in Österreich und für Luzern wurde nach der Absage ein neues Festival unter dem Motto «Life Is Live» auf die Beine gestellt.

Es war ein Paukenschlag, als Markus Hinterhäuser im Mai verkündete, dass die Salzburger Festspiele in diesem Sommer vom 1. bis 30. August 2020 mit zwei Opernpremieren, drei Theaterproduktionen und zahlreichen Konzerten und Lesungen stattfinden werden.
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Markus Hinterhäuser. Foto: Leo Neumayr
«Wir haben viele Szenarien durchgespielt – von der Totalabsage bis zu einem einzelnen Festivaltag», erklärt der Intendant im Gespräch. «Dann entwickelten sich die Infektionszahlen in Österreich positiv. Und durch den Stufenplan der Bundesregierung konnten ab dem 1. August 2020 bei Vorlage eines strengen Hygienekonzepts bis zu 1000 Besuchern zu Veranstaltungen zugelassen werden. Proben, Oper, Theater, Auftritte von Sinfonieorchestern – das war alles wieder möglich. So können wir jetzt auch künstlerische Akzente setzen. Natürlich werden wir wirtschaftliche Verluste haben, aber sie werden verschmerzbar sein.» Vom ursprünglich geplanten Opernprogramm mit vier szenischen Neuproduktionen und vier Wiederaufnahmen wird nur Richard Strauss’ Elektra behalten, die die Festspiele am 1. August 2020 eröffnet. «Es war uns wichtig, zum 100-jährigen Jubiläum der Festspiele das Werk eines Festivalgründers dabei zu haben. Alle Konzerte und Vorstellungen, die wir im Sommer veranstalten, werden ohne Pause durchgeführt. Da passt der Einakter Elektra auch sehr gut. Das Personal auf der Bühne ist überschaubar und es braucht keinen Chor – auch das waren Gründe für diese Oper zum Auftakt.» Die ausgefallenen Produktionen sollen nächstes Jahr nachgeholt werden. Mit Così fan tutte ist in wenigen Wochen eine Opernproduktion ganz neu für die modifizierten Salzburger Festspiele entstanden. Christof Loy, der eigentlich Boris Godunow inszenieren sollte, führt Regie. Joana Mallwitz, vorgesehen für die Zauberflöte, dirigiert. Alle Veranstaltungen, auch die Theatervorstellungen, Lesungen und Konzerte werden ohne Pause durchgeführt. Es wird keine Bewirtung in den Foyers geben. Was die Mindestabstände bei den Künstlern angeht, verfolgt Österreich einen anderen Weg als die Schweiz und Deutschland. Die Mitglieder der österreichischen Orchester werden regelmässig auf das Coronavirus getestet. Abstandsvorgaben gibt es keine, so dass die Wiener Philharmoniker auch dicht beieinander im Orchestergraben sitzen können. «Ich freue mich darüber, dass wir das menschliche Grundbedürfnis nach Kunst, nach Theater, nach Musik wieder wahrnehmen. Jeder ist aufgerufen, seinen Teil dazu beizutragen, dass wir das hinbekommen. Ich glaube sehr an diesen Versuch», zeigt sich Markus Hinterhäuser vor Festivalstart zuversichtlich.
Für die Kultur kämpfen
Andrea Zietzschmann, Intendantin der Berliner Philharmoniker, freut sich sehr auf die beiden Konzerte der Berliner Philharmoniker am 29. und 30. August 2020 bei den Salzburger Festspielen – die ersten Gastauftritte des Orchesters nach fünf Monaten Spielpause.
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Andrea Zietzschmann. Foto: Stefan Höderath
Das Programm der beiden Konzerte unter Chefdirigent Kirill Petrenko musste leicht verändert werden. Anton Weberns Passacaglia für Orchester und Josef Suks Sinfonie in c-Moll op. 27 wurden gestrichen, Arnold Schönbergs Verklärte Nacht in der Fassung für Streichorchester dazu genommen. Auch in Österreich muss sich das Orchester allerdings an die in Deutschland vorgeschriebenen Mindestabstände halten – also 1,5 Meter bei Streichern und 2 Meter bei Bläsern. Eine 68-köpfige Orchesterbesetzung ist im grossen Festspielhaus das Maximum. Die letzten Monate waren für Zietzschmann von Krisenmanagement geprägt. Absage von Konzerten, Auflösen von Verträgen, Sicherung der Liquidität. Die Orchestermitglieder sind seit Anfang April bis zum Start der Spielzeit am 28. August in Berlin in Kurzarbeit. Von der Politik in Deutschland fordert sie mehr Entgegenkommen und praktikable Lösungen. «Leider steht die Kultur nicht oben auf der Prioritätenliste der Bundespolitik, dafür müssen wir alle kämpfen.» In Deutschland können die Säle bislang nur bis maximal 30 Prozent belegt werden. Die Mindestabstände für Orchestermusiker verhindern grössere Besetzungen. Chorgesang ist in Berlin in geschlossenen Räumen ganz verboten. Das Testmodell Österreichs hält sie für gut, weil es zu einer Normalität verhelfe. Für das am 1. Mai ausgestrahlte Europakonzert der Berliner Philharmoniker wurde das Orchester auch schon mehrfach getestet. «Da uns das Thema Corona sicher noch länger beschäftigen wird, brauchen wir pragmatische Lösungen», ist Zietzschmann überzeugt. Mitte August wird das neue Saisonprogramm für die Konzerte der Berliner Philharmoniker bis Ende Oktober bekanntgegeben. «Es wird attraktive Programme ohne Pause geben. Um flexibel handeln zu können, planen wir Schritt für Schritt.» Und es wird mehr Konzerte geben, um «angesichts des stark reduziert zugelassenen Publikums mehr Konzertangebote zu schaffen.»
Grenzen respektieren
Was die Abstände zwischen den Orchestermusikern angeht, liegen auch in der Schweiz die aktuellen Vorgaben bei 1,5 m (Streicher) und 2 m (Bläser). Aber es ist deutlich mehr Publikum erlaubt als in Deutschland. Inklusive Saalpersonal sind im KKL Luzern mittlerweile 1000 Personen zugelassen.
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Michael Haefliger. Foto: Daniel Auf der Maur
Zunächst hatte Michael Haefliger das von 14. August bis 13. September 2020 geplante Lucerne Festival Ende April komplett abgesagt. Dass es nun doch in einer stark verkleinerten Version stattfinden kann, hat mit den grösseren Möglichkeiten zu tun, die Veranstaltern in der Schweiz inzwischen eingeräumt werden. «Wir machen im Sommer kein heruntergefahrenes Festival, sondern ein neues Festival unter dem Thema ‹Life Is Live›. Wir haben ein zeitgemässes Konzept erarbeitet, das alle Hygieneanforderungen berücksichtigt und bieten ein kompaktes Festivalerlebnis an, das sich auf 10 Tage konzentriert.» Vom alten Festival ist nicht viel geblieben. Die Auftritte der internationalen Gastorchester sind nicht möglich. Die Lucerne Festival Academy findet ebenso nicht statt wie das Pre-Festival «Music for Future» und die geplanten 10 Uraufführungen. Das Lucerne Festival Orchestra wird unter Herbert Blomstedt in 35-köpfiger Besetzung (Solistin: Martha Argerich) zwei Beethovenprogramme spielen. Igor Levit setzt seinen Beethovenzyklus fort, neben weiteren Kammerkonzerten wird Cecilia Bartoli mit Les Musiciens du Prince – Monaco ein Händelprogramm geben. Openair sind täglich Weltmusikbands in der Stadt zu hören und an insgesamt vier verschiedenen Kirchen Peter Conradin Zumthors Komposition Luzerner Glocken – con sordino. Mit den Vorgaben der Schweizer Regierung ist Michael Haefliger grundsätzlich einverstanden. «Wenn man zu rigide ist, verhindert man eine gewisse Normalisierung. Deshalb begrüssen wir die Lockerungen, sind uns aber bewusst, dass man dabei die Fallzahlen immer im Auge behalten muss. Das ist eine Gratwanderung.» Die Folgen der Coronakrise für den Klassikbetrieb bedeuten seiner Ansicht nach eine gewisse Redimensionierung. «Jetzt werden auch aus ökologischer Sicht Grenzen respektiert, die früher nicht eingehalten worden sind», sagt Haefliger. «Man wird sich in den nächsten Monaten sicherlich stark auf den eigenen Platz konzentrieren und versuchen, dort mit seinem Publikum eine lebendige Kommunikation aufrecht zu erhalten. Man darf nicht in Vergessenheit geraten.»