Im Dschungel verloren

Als erste «Brass-Oper» der Welt wurde Manuel Rengglis «Dschungel» angekündigt, zu der das Luzerner Theater am 8. Februar einlud. Die Musik konnte allerdings die hohen Erwartungen nicht erfüllen.

Foto: Ingo Hoehn/dphoto.ch

Es ist ein interessantes Projekt, das der Intendant des Luzerner Theaters, Benedikt von Peter, initiiert hat: Eine genuin luzernische Oper, bei der die aus Profis und Laien bestehende Brassband Bürgermusik Luzern im Orchestergraben sitzt, dirigiert von deren Leiter Michael Bach. Die Bühnengestaltung stammt vom Luzerner Origami-Künstler Sipho Mabona und das Personal auf der Bühne setzt sich mehrheitlich aus dem Ensemble zusammen.

Die Musik hat der Luzerner Manuel Renggli beigesteuert, der sich damit nicht nur zum ersten Mal als Musiktheaterkomponist versucht, sondern auch noch als Weltpremiere eine «Brass-Oper» vorlegt. Seine Partitur erfordert 25 Blechbläser, vier Perkussionisten und einen Synthesizer-Spieler. Eine gewagte, «laute» Formation im kleinen Theater Luzern, weshalb denn die Darsteller auch mit Mikrofonen ausgestattet wurden. Also mehr Musical als Oper?

Die Textvorlage stammt vom Berner Michael Fehr, Träger des Schweizer Literaturpreises 2018. Er bezeichnet sich als Erzähler, sein Dschungel ist ein sprechendes Beispiel dafür: Das Fabulieren steht im Mittelpunkt, ein modernes Märchen, eine Parabel zwischen Grossstadtelend und Dschungelvernichtung, die er in poetischen Bildern erzählt:

Das auf der Strasse lebende Mädchen Brahma, von ihrer alkoholsüchtigen Mutter Raja vernachlässigt, schnappt sich vom Sohn des «Roten Barons» eine Handvoll Pillen und versinkt in eine Welt, in der Realität und Halluzination verwischen. Sie begegnet Ratten, Affen, einer Schlange, Ameisen oder einem Panther. Es ist ein Plot mit kraftvoll-farbenreichen Bildern, erzählt in einem eigenen Sprachduktus, zu dem Rhythmus und gezielte Redundanzen gehören. Aber es ist kein Libretto, welches durch den Abend trägt: keine Dramatik, keine Auseinandersetzung oder Dialoge von Kontrahentinnen, keine Entwicklung der Figur(en). Am Schluss ist Brahma wieder das zerlumpte Mädchen in der Grossstadt. Es stehen also vorwiegend innere Bilder und Empfindungen der traurigen Hauptfigur im Mittelpunkt. Mit Ina Langensand ist sie denn auch mit einer Schauspielerin besetzt, die eindringlich spielt. Und die Geschichte wird erzählt – vom auch als Panther fulminant agierenden Schauspieler Walter Sigi Arnold.

Vor allem zum Schauen

Geprägt wird die Szene in Luzern von den abstrakten Origami-Objekten Sipho Mabonas, berauschende Bilder voller Farben (Licht: Clemens Gorzella) und bizarrer Formen, auf denen Videoprojektionen (Rebecca Stofer) die Orte des Geschehens andeuten. Und die Musik? Eigentlich sollte sie eine eigene Dimension entwickeln, welche die Traumvisionen mit Farbe, Dramatik oder elegischen «Melodien» füllt.

Doch davon ist wenig zu spüren: harmonische Verarbeitung, Ausloten des klanglichen Reichtums der Brass-Instrumente oder rhythmische Diversifikationen – Fehlanzeige. Die Musik, getragen von sich unendlich wiederholenden, gleichartigen Patterns, plätschert dahin. Diese musikalische Einförmigkeit liegt aber auch stark am Nicht-Libretto, das keinerlei dramaturgischen Biss offeriert.

So bleiben Veränderungen wie die jazzigen Synkopen beim Affentanz oder die triumphale Steigerung am Schluss die Ausnahme. Es kommt dazu, dass oft auch mit Dämpfern gespielt wird, um die Sänger trotz Mikrofon nicht zu übertönen. Dschungel haftet etwas Filmähnliches an, vorbeirauschende Bilder, die musikalisch untermalt sind. Die mehrheitlich aus Laien bestehende Bürgermusik spielt unter dem versierten Dirigat von Michael Bach gut, wirklich entfalten aber kann sie sich nicht.

Regisseur Tom Ryser gelingt zusammen mit dem exzellenten Ensemble das Kunststück, das Publikum trotzdem bei der Stange zu halten. Das Changieren zwischen Ernsthaftigkeit und Slapstick ist gekonnt, und das singende und agierende Personal gibt gut geführt sein Bestes. Raffiniert ist die Ausstattung von Birgit Künzler, sie schafft den Spagat zwischen einer Fabelwelt, die aber von Menschen dargestellt wird, bravourös.

Da ist Hubert Wild als ein Papageno nachempfundener «Gefiederter Mensch», der virtuos zwischen Countertenor-Stimme und Bariton wechselt. Auch die expressive Rebecca Krynski Cox als besoffene Raja setzt einen Akzent. Und Diana Schnürpel als Schlange Atlanta erinnert mit ihren melismatisch-geschlängelten Koloraturen daran, wie grossartig ihre Königin der Nacht ist.

Im Programmheft bezeichnet Manuel Renggli den starken Sprachrhythmus von Fehrs Erzählkunst als «Knackpunkt» seiner kompositorischen Arbeit. Tatsächlich besitzen die Solopartien noch zu wenig Eigenständigkeit. Spannende Momente mit pulsierender Musik gelingen Renggli in den Chorszenen der Affen, Ratten und Ameisen. Ein Abend, den zu sehen Spass macht. Aber zu hören?

Weitere Aufführungen bis 3. April 2020

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