Glücksgefühl und Melancholie

Die Donaueschinger Musiktage 2019 machten diesmal Spass, tatsächlich – und gewiss wird das von manchem mit Stirnrunzeln quittiert. Aber es gab ja noch genug Ernsthaftes. Bemerkenswertes aus einem äusserst reichhaltigen Programm.

Simon Steen-Andersen: «Trio». Foto: SWR/Ralf Brunner

Donaueschingen ist eine Wundertüte. Selbst der Festivalleiter Björn Gottstein kann nur bedingt beeinflussen, was herausspringt. Und das zeigte sich dieses Jahr in besonderem Masse, vom Eröffnungskonzert an. Es begann mit einer Art Tischbombe: Glücklich, Glücklich, Freude, Freude nennt der Australier Matthew Shlomowitz seinen Versuch, eine glückliche Musik zu komponieren, mit viel Keyboardklang und Anspielungen auf leichte Musiken, spielerisch, frech, schräg und auch etwas grob, ja man hätte das raffinierter und geraffter gestalten können, aber es gab dem Festival eine Richtung vor: hin zu einer unterhaltenden Musik, wie es in diesen Kreisen doch eher selten vorkommt.

Getoppt wurde sein Stück im selben Konzert vom Trio für Bigband, Chor und Orchester des Dänen Simon Steen-Andersen. Zu diesen drei Klangkörpern hinzu trat ein Video. Es war der Ausgangspunkt des Stücks. Steen-Andersen ist nämlich ins Archiv des Südwestrundfunks hinabgestiegen und hat sich hunderte Stunden mit Musikfilmaufnahmen angeschaut, darunter Sinfonie- und Chorkonzerte, aber auch Proben, etwa mit Dirigenten wie Sergiu Celibidache und Carlos Kleiber, ebenso wie Jazzkonzerte, etwa mit Duke Ellington. Daraus hat er kleinste Schnipsel, Worte, Töne, Akkorde, herausgefiltert und sie neu zu einer schlüssigen musikalischen Abfolge zusammengesetzt. Zwei Töne eines Jazzbassisten gehen etwa in «Till Eulenspiegel» über oder aber in den Kommentar eines Dirigenten. Gleichzeitig hat der «KomPonist» diese Schnipsel ausnotiert, in eine Partitur umgesetzt und den drei Klangkörpern zur Liveperformance gegeben. So wechselt die Musik beispielsweise zwischen Orchester und Filmton hin und her, in einem horrenden Tempo. Das war virtuos gemacht, vielleicht gegen Ende dann doch etwas redundant, aber auf jeden Fall ein grosses Amüsement.

Der Komponist komponiert da eigentlich weniger im herkömmlichen Sinn, als dass er schon Bestehendes nimmt und in einen neuen Kontext bringt. Es ist ein Reflex auf die Sampling-Technik. Neu kam hier dazu, dass das gesampelte Material nicht nur abgespielt, sondern auch transkribiert und transformiert wurde. Diesem Arbeitsmodell folgten heuer etliche Komponistinnen und Komponisten auf ihre eigene, unabhängige Weise. Gordon Kampe bat Mitglieder eines Kirchenchors, ihm Lieder aus ihrer Kindheit vorzusingen, und flocht sie in sein Ensemblestück Remember Me ein. Die Kanadierin Nicole Lizée baute aus den Geräuschen und Klängen der defekten Geräte im väterlichen Elektrogeschäft ein Sepulchre – auch das Erinnerungsmusik, und der Schweizer Michael Pelzel übertrug das Totengeläut aus dem indischen Varanasi aufs Orchester. So mischte sich unter das Amüsement auch langsam die Melancholie. Es ist ein Spiel mit Selbstreferenzen und Intertextualitäten. Man könnte zuweilen meinen, dass die Komponisten der Erfindung von Klängen misstrauen und lieber Bestehendes rekomponieren.

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Als schritten sie feierlich zum Sonntagsgottesdienst: der Komponist mit seiner Familie unter zwei grossen dunklen Regenschirmen auf dem Weg vom Hotel zum Konzert. Was folgte, glich durchaus einem Hochamt des Klangs in einem geradezu kathedral gefassten, wenn auch nicht sehr hohen Konzertraum, fast monumental, getragen von einem Glauben an die Klänge, der in den anderen Konzerten fast verloren schien. Der Spanier Alberto Posadas hat mit seiner Poética del espacio das ausladendste Werk des Festivals geschaffen, eine Erforschung des Klangraums in verschiedenen Richtungen, vielschichtig in den Raum gestellt, mit wunderbaren Passagenen, allenfalls, wenn man ins klanggestische Detail blickt, fast auch etwas altbacken. Ja, fragte ich mich da wieder: Auf welcher Ebene kann sich der Klang noch erneuern?

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Alberto Posadas: «Poética des espacio» Foto: SWR/Lukas Beck

Die Schweizer Beteiligung erfreute dieses Jahr. Neben Pelzel war da ein quicklebendiges Klarinettenkonzert von Beat Furrer, das allerdings nicht fertig wurde und nur teilweise uraufgeführt werden konnte. Das Festival mündete schliesslich in Melancholie, ohne darin zu versinken. Eine zarte und heterogene Orchester-Landschaft namens Klangor stellte die Polin Lidia Zielińska vor. Ganz am Schluss standen die ruhigen, sich der Stille zuneigenden Elemental realities des Aarauers Jürg Frey. Elementares tatsächlich, Töne, Motive, Akkorde in oft gleichmässiger Bewegung, über eine halbe Stunde lang und die Zeit doch auch vergessen machend. Manchmal fast ins Unhörbare reichend – und überraschend, weil die vielen tonalen Elemente ins Ohr fielen, so als wolle sich da ein spätes Mahler-Andante ins Feldmansche, ja Pärtsche fortsetzen. Und dann eben ins Freye.

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«Elemental realities» von Jürg Frey (rechts) am Schlusskonzert. Foto : SWR/Astrid Karger

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