Konzertraum digital erweitert

Bei ihrer Saisoneröffnung gibt sich die Basel Sinfonietta «geerdet» und «app-gestützt» zugleich. Die Handybenutzung während des Konzerts galt für einmal als cool.

Ob das Natel im Konzertsaal heimisch wird? Die Diskussion läuft. Foto: Zlatko Mićić / Basel Sinfonietta

Mit zwei markanten Orchesterwerken aus den Achtzigern sowie einer Erstaufführung eines Schweizer Komponisten startete die Basel Sinfonietta unter ihrem Principal Conductor Baldur Brönnimann ambitioniert in die neue Saison. Zum peppigen Internetauftritt des Orchesters passte die «Weltpremiere» der App Onstage. Das Konzertgeschehen wurde mit vier Bühnenkameras eingefangen und via App aufs Handy übertragen. Viele Zuhörende testeten die verschiedenen Funktionen. Eine gelungene Idee war, die Partituren der gespielten Werke aufzuschalten – man hätte allerdings mindestens ein Tablet benötigt, um die kleingedruckten Noten zu entziffern. Der Reiz hatte sich schnell erschöpft, zumal es auch real genug zu hören und zu sehen gab. Im Laufe des Konzerts verschwanden immer mehr Telefone und die Programmheftchen wurden aufgeschlagen.

Das Hauptereignis des Abends war ohnehin das höchst anspruchsvolle, dem Thema «Erde» verpflichtete Programm mit dem mässig originellen Titel Crumb tanzt mit Beat. Das Werk des Briten George Crumb, A Haunted Landscape (1985), und Earth Dances von Harrison Birtwistle, komponiert 1985/86, bildeten den Rahmen für die Schweizer Erstaufführung von Beat Furrers Stück Nero su Nero aus dem Jahr 2017. Die beiden Angelsachsen setzen das Thema in einer bildhaften, farbenreichen, ja romantischen Art und Weise um, während Furrers Musik ganz ohne Buntstifte auskommt.
 

Von Crumb …

Crumbs meist ruhige aber fantasievolle Musik setzt auf zahlreiche, teils exotische Perkussionsinstrumente. Zusammen mit den furchteinflössend eingesetzten Bläsern sorgen sie für eine spukhafte Stimmung. Die Streicher kommen verhältnismässig wenig zum Einsatz. Wo sie es tun, verströmen sie Ruhe und Verklärung. Im Auftragswerk der New York Philharmonic, damals unter anderem aufgeführt unter der Leitung von Zubin Metha, wollte Crumb das Geheimnisvolle ihm vertrauter Landschaften vertonen.

… zu Furrer,

Ganz anders bei Beat Furrers Nero su Nero: Beim im Juni 2018 durch das ORF Radio-Symphonieorchester Wien unter Cornelius Meister uraufgeführten Stück herrscht Düsterkeit vor. Im Programmtext wird von «Abstufungen der Dunkelheit» gesprochen. Der Dirigent wies eingangs auf die dreiteilige Struktur des Werks hin, in dem Bläser und Streicher in zwei Schichten mit- und gegeneinander agieren. Die Bläser schieben sich immer wieder grell und quer zwischen die Streicher hinein. Der Mittelteil bringt, gespickt mit Mikrotönen und Glissandi, vorübergehende Ruhe, welche sich alsbald wieder mit Energie auflädt und erneut in einen Widerstreit mündet.

… zu Birtwistle …

Earth Dances gilt als eines der zeitgenössischen Meisterwerke für Orchester, das ebenso reichhaltig wie schwierig aufzuführen ist. Birtwistle schrieb dieses 40-minütige Stück für das BBC Symphony Orchestra und widmete es Pierre Boulez, welcher es erstmals im Jahr 2001 mit dem Ensemble Modern Orchestra in Frankfurt aufführte. Die Zuhörer werden mitgenommen auf eine geheimnisvolle Reise durch eine verworrene musikalische Landschaft mit plötzlichen, überwältigenden Höhepunkten. Der Komponist hat sechs instrumentale Schichten geschaffen, jede mit unterschiedlichen Funktionen, die sich ineinanderschieben oder verbinden, kollidieren oder auseinanderbrechen. Mit diesem mächtigen musikalischen Material wollte er Bewegungen tektonischer Platten mit ihren Eruptionen und Konvulsionen nachbilden.
Die Partitur zeichnet sich aus durch eine komplexe Rhythmik, die sich später zu einem pochenden, durchgängigen und fast jazzigen Puls verdichtet. Lobend erwähnt sei hier das rasante Solo der Bratschengruppe. Mitunter brechen rhythmische Muster hervor, um kurz darauf wieder zu verschwinden. Melodische Inseln in verschiedenen Instrumentengruppen verbreiten kurzzeitig Wohlgefühle und tauchen wieder ab.

Die Sinfonietta musizierte unter Hochspannung. Es war den Ausführenden anzumerken, dass sie noch sehr mit den Tücken der Partitur zu kämpfen hatten. Längst nicht alle Pizzicati kamen rechtzeitig an. Baldur Brönnimann erwies sich als sicherer Organisator, der stets umsichtig, zuverlässig und konsequent in seiner präzisen Zeichengebung blieb, eine Sicherheit, die dem Orchester half, über die Runden zu kommen. Trotz allem darf man die Musikerinnen und Musiker beglückwünschen, dass sie den Mut hatten, dieses monumentale und anspruchsvolle Werk zu Gehör zu bringen.
 

… und zurück zur App

Felix Heri, Geschäftsführer der Basel Sinfonietta, erläuterte gegenüber der Schweizer Musikzeitung den Einsatz der App: «Es ist für uns entscheidend darüber nachzudenken, wie wir unsere Tätigkeit dem Publikum gegenüber vermitteln. Dabei steht die Frage nach dem Konzerterlebnis im 21. Jahrhundert weit oben.
Diese App bietet uns die Möglichkeit, den Konzertraum digital zu erweitern und diesbezüglich neue Erfahrungen zu sammeln. Während des Konzerts haben über 200 Personen die App aktiv genutzt und viele haben Feedback gegeben, das wir zurzeit auswerten. Die einzelnen mündlichen Rückmeldungen nach dem Konzert waren gemischt. Die Spannweite bewegte sich von ‹ein echter Gewinn› bis ‹Handy gehört nicht ins Konzert›. Auch im Orchester wurde das Thema kontrovers diskutiert und es gab gewisse Vorbehalte. Der Orchestervorstand hat jedoch nicht gezögert, dieses Projekt umzusetzen. Publikum und Orchester haben sich also darauf eingelassen, und wir konnten zur Diskussion anregen sowie neue Wege ausprobieren. Die App wird am 21. Oktober bei unserem 2. Abo-Konzert nochmals eingesetzt, um z. B. beim neuen Schlagzeugwerk von Michel Roth für Christian Dierstein die Performance des Solisten genauer zu beobachten. Weitere Einsätze sind derzeit nicht geplant. Sicherlich werden wir aber weiterhin experimentieren.»
 

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