Chorgesang, der süchtig macht

Das 11. Europäische Jugendchor Festival (EJCF) fand über das Auffahrts-Wochenende in Basel und Region statt. An fünf Tagen und Abenden verfolgten gegen 30 000 begeisterte Zuhörende die Auftritte der insgesamt über 2000 Stimmen der 18 Gastchöre aus 12 Ländern und weiterer 17 Chöre.

Coro Infantil da Universidade de Lisboa unter Erica Mandillo auf dem Jugendchorschiff

Was gibt es Schöneres, als singenden Jugendlichen zuzuhören und zuzuschauen? Das Lächeln des Gesangs berührt die Seele. Man beneidet geradezu, wie die jungen Stimmen ihre bald schlichten, bald kunstvollen Gesänge auswendig, gestisch wie mimisch ausgeklügelt und so unverstellt natürlich vortragen. Sie füllen die Räume und singen von allen Seiten über Emporen hinweg. Sie wandeln und tanzen und unterstützen damit den Text, so dass man auch ihre fremde Sprache versteht. Eine Choreografie des Gesangs, die ein Volkslied zum Gesamtkunstwerk erhebt.

Romanisch, russisch, appenzellisch …

Chara lingua della mama intonieren die Mädchen und Burschen des Bündner Incantanti-Chores und verzaubern das Publikum mit ihrem Chantun Grischun in der Muttersprache. Der engagierte Leiter Christian Klucker feuert sie an. Jede Silbe ein Zoll Ausdruck. Zum Lied Ina dultscha melodia formieren sie sich im Kreis vorm Altar der Laufener Kirche und lassen die süsse Melodia von der Rheinquelle ins Birstal hinauf wie auf einer sanften Barke in Schallwellen schaukeln.

Ausgelassenheit und Strenge markieren die Stimmen der Swerdlowsk Kinderphilharmonie. Zwischen den romantischen Russen Mussorgski und Glinka begeistern die strammen Kinder und Jugendlichen im stampfenden Rundgesang Rotola oder in der wirbligen Puppenshow Balaganchik.

In der halligen Leonhardskirche juchzen die Jutz-Jugis urig appenzellisch die Zäuerli vom Schwäbberg mit dem typischen Alphorn-Fa, hopsen in ihren Sennechutteli und Trachten, die Hände in der Hosentasche, den Schnittertanz doppelt so lüpfig und recken im Stellijuiz die Köpfe wie zum Säntis hoch. Swissness pur.

Im Kirchenraum verstreut der ungarische Cantemus-Kinderchor klangfarblich abgestimmte Sakura-Kirschblüten und rasselt zu einer fröhlichen Schlittenfahrt.

Eine Spezialität des EJCF ist, dass die Gastchöre aufgefordert werden, auch Stücke eines andern Chors einzustudieren und sie gemeinsam aufzuführen. So intoniert die Knabenkantorei Basel mit dem stämmigen Drakensberg Boys Choir das traditionelle Marokeni aus Namibia und lässt sich vom Temperament der Südafrikaner anstecken. Oder der Mädchenchor Bat-Kol vereint sich im Stück Hadudaim des israelischen Komponisten Tzvi Sherf und in einem Canto von Fernando Lopes-Graça mit dem Coro Infantil da Universidade de Lisboa. Da finden ganz unterschiedliche Temperamente in fremdem Stil und fremder Sprache zueinander.
 

Drei Uraufführungen aus drei Landesteilen

Das vom finnischen Chorleiter Kari Ala-Pöllänen präsidierte Chormusik-Programm «Songbridge» projiziert in drei Uraufführungen eine moderne Landeserkundung ins Rund der schönen Jugendstil-Pauluskirche.

Zunächst malen die Fribourger Zik’Zag-Jeunes in Carlo Bollers A Moléson stimmungsvolle Lichtklänge vom Greyerzer Berg, angespornt von Jocelyne Crausaz, um danach mit dem Kammerchor des Gymnasiums Muttenz (Leitung: Jürg Siegrist) und den Grischuner Incantanti die klangfarblich raffinierte Neuschöpfung Fribourg von Fabien Volery aus der Taufe zu heben. In S Freikunsärt orientiert sich Stefan Furter am bodenständigen Oberbaselbieter Dialekt des Bauerndichters Hans Gysin, wie er in den Dörfern Oltige, Weislige, Ammel am Fusse der Schafmatt gesprochen wird. Der Gesang der «tuusigfältigen» Vögel hat es ihm angetan. Im Sprechchor graviert der Specht Claves Flurnamen in den Stamm. Ein wundersames Natur- und Heimatstück für «allergattig» Stimmen. Die Himni al sulegl des Bündners Gion Andrea Casanova entpuppt sich als Hymne an die Sonne, an die weisse Pracht des Schnees, an Kälte und Wolke. Ein klanglich funkelndes Wechselbad von Naturstimmungen und Gefühlen.

Den drei Uraufführungen gemeinsam ist, dass sie von den Stimmen einiges an Ausdruck und Affekt verlangen, ohne die Stimmbänder allzu arg zu strapazieren, wie das die Neue Musik gerne tut.

Den Abschluss der Konzerte macht jeweils der Festivalsong Music is everywhere mit dem Refrain, in den das Publikum unisono einstimmt. Mit Standing Ovations werden die Darbietungen in den überfüllten Kirchen wie im ausverkauften Musical-Theater gefeiert.
 

Ein geballtes Programm, das nachklingt

«Uff dr Stross», auf fünf Bühnen und Plätzen, gehts an praller Sonne hitzig zu und her. Da wird getanzt und gehottet, gejuchzt und gepfiffen, getrommelt und gekämpft, dass sich die Bretter auf den Bühnen biegen. Der Leiter des Coro de Jovenes de Madrid, Juan Pablo de Juan, treibt das Publikum zum Mitsingen und Klatschen an. Als feurige Carmens schwingen die Sängerinnen ihre Hüften, umworben von den jungen Torreros. Bei der «Parade à l’envers» standen die Chöre am Strassenrand und liessen das Publikum vorbeidefilieren.

Neu war bei dieser Ausgabe des EJCF unter der bewährten Leitung von Kathrin Renggli ein Jugendchorschiff, das mehrfach mit seiner sangesfreudigen Fracht an Bord – darunter ein Workshop für Kids bis 8 Jahre – auf dem Rhein bis ans Dreiländereck kreuzte.

Zum 8. Mal versammelten sich Chorleiterinnen und Chorleiter zu Vorträgen und Demonstrationen, um ihre Jugendensembles für Pop-up-Performances, in Sachen Bühnenpräsenz und wirkungsvolle Repertoires bei festlichen Auftritten fit zu machen.

Lange klingen die Gesänge der fröhlichen Jugend nach und bereiten Freude und Genugtuung ob soviel friedfertigen Musizierens über alle Grenzen hinweg. Auch Politikern sollte man das Singen beibringen, dann wäre der Weltfriede gewiss eher möglich.
 

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