Lehrreich geht auch spannend
Das Festival Alte Musik Zürich stellte unter dem Titel «In Paradisum» vom 9. bis 18. März Totenmessen verschiedener Epochen ins Zentrum.
Das erste mehrstimmige Requiem der Musikgeschichte! Mit Johannes Ockeghems Missa pro defunctis eröffnete das Festival Alte Musik Zürich einen Requiem-Reigen, der es in sich hatte. Bekanntes und Unbekanntes trugen führende Ensembles der historischen Aufführungspraxis vor und ein tatsächlich auch informatives Programmheft ordnete es historisch ein. Eine Formel, die das Forum Alte Musik Zürich bereits seit 16 Jahren perfektioniert und die es den Besuchern erlaubt, für zwei Wochen tief in ein Thema einzutauchen.
Wer jetzt glaubt, damit schon das Konzept der mittlerweile zweimal jährlich stattfindenden Festivals verstanden zu haben, wird schnell eines Besseren belehrt. Ein Vorausblick auf das Programm des Herbstfestivals Windspiel verdeutlicht, dass hier eine sehr offene Auffassung von Alter Musik vertreten wird. Anders sind die Namen von Mozart und Beethoven im Programm nicht zu erklären. Roland Wächter, gemeinsam mit Martina Joos Präsident des Forums, führt denn auch aus: «Alte Musik ist alles, was auf Instrumenten und im Stil der entsprechenden Epoche, ‹historisch informiert› gespielt wird.» Und fügt noch leicht provokativ an, dass es also durchaus denkbar wäre, in diesem Sinne auch mal Debussy aufs Programm zu setzen.
Es ist dieser weite Horizont, der die zweiwöchigen Festivals lebendig hält, interessant und unvorhersehbar. Bereits in der ersten Ausgabe 2002 stellten die Organisatoren Monteverdis Ulisse eine moderne Bearbeitung des Odyssee-Stoffes gegenüber. Diesen März begleitete nun das Orlando Consort den Stummfilm La Passion de Jeanne d’Arc mit Vokalmusik aus der Zeit der Jungfrau von Orléans. Keinerlei Berührungsängste zeigten die Macher auch bei ihrer Zusammenarbeit mit dem Verein 500 Jahre Zürcher Reformation. Die Mittelalter- und Renaissance-Spezialisten Le Miroir de Musique trafen dabei auf die Volksmusiker der Helvetic Fiddlers und nahmen einen Dialog wieder auf, der vor langer Zeit abgebrochen worden war.
Der Schwerpunkt von In Paradisum lag aber auf Vertonungen der Totenmesse aus Renaissance und Barock. Dabei war unschwer das Bemühen zu erkennen, einen historisch umfassenden Überblick zu bieten: Mit Werken unter anderem von Kerll, Schütz und Campra waren österreichischer, deutscher und französischer Barock repräsentiert, protestantische und katholische Kirchenmusik zusammengeführt. Die schon seit langem bewährte Zusammenarbeit mit dem Musikwissenschaftlichen Institut der Universität Zürich, das ein frei zugängliches Symposion zum Thema anbot, unterstrich diesen didaktischen Anspruch noch.
Hohe Qualität und ein Quäntchen Pragmatismus
Trotzdem wirkte das Ganze nie schulmeisterlich, was vor allem an der Qualität der Konzerte lag. So war die nur selten zu hörende Missa pro defunctis von Johann Caspar Kerll ein echter Ohrenöffner. Drastische Klangeffekte fehlen darin völlig; was man für selbstverständlich hält, erweist sich als später entstandene Konvention. Das belgische Ensemble Vox Luminis verlieh dem innigen Werk bei aller sanften Feierlichkeit zudem eine innere Spannung und vermochte damit die zahlreichen Zuhörer in der St. Peter-Kirche in seinen Bann zu schlagen. Dass es dabei vom brillanten Gambenconsort LʼAchéron begleitet wurde, kann man als Tüpfelchen auf dem i bezeichnen: Den eher unspektakulären Instrumentalpart qualitativ derart hochstehend zu besetzen, ist wahrer Luxus.
Es gab aber nicht nur internationale Klasse zu erleben. Chor und Orchester der St. Galler Bach-Stiftung sind für hochstehende Bach-Interpretationen bekannt, ihre Verpflichtung ist daher nur folgerichtig. Dass sie aber Bachs Johannes-Passion spielten, zeigt noch einen weiteren Aspekt des Festivals. Mit einigem guten Willen lässt sich das Stück zwar in den thematischen Zusammenhang einfügen, doch in erster Linie ist dieser Auftritt dem Pragmatismus der Festival-Leitung zu verdanken. Auch populäre Werke gehören in das Programm. Eine Taktik, die sich auszahlt, sind die Konzerte doch seit Jahren stabil gut besucht, wobei dieses Frühjahr besonders erfreulich gewesen sei, wie Roland Wächter berichtet.
Der würdige Abschluss war dann wieder einer Rarität überlassen. Mit André Campras Messe des Morts präsentierten das Zürcher Barockorchester und das Vokalensemble Zürich unter Peter Siegwart eine weitere Trouvaille aus dem grossen Fundus zu Unrecht wenig bekannter Werke. So konnte das Publikum eine farbige, sinnliche Musik entdecken, der Dramatik zwar nicht fremd ist, die den Weg ins Jenseits aber dennoch in sanften Tönen zeichnet. Vorgetragen von einem Ensemble, dem die französische Musiksprache hörbar vertraut ist, entliess sie einen in den Abend, voller Vorfreude und Neugierde auf den Herbst.