Welten verbinden
Vor drei Jahren gründete eine junge Klarinettistin ein Klassikfestival mit Fokus auf jüdisch geprägte Musik. Vom 25. bis 28. Januar durfte man in Basel eine reichhaltige vierte Ausgabe erleben.

2015 begann die heute bereits erfolgreiche Geschichte des Mizmorim-Festivals mit der «Neuen Jüdischen Schule», einer Art musikalischer Spurensuche nach dem jüdischen Nationalstil im 20. Jahrhundert. Ein Jahr später kamen unter dem Motto «America!» amerikanisch-jüdische Komponisten wie Steve Reich, Aaron Copland oder Philip Glass zur Aufführung. Im vergangenen Jahr wechselte die Himmelsrichtung auf «Go East». Hier waren spannende Begegnungen mit György Kurtág, Felix Mendelssohn, György Ligeti zu erleben.
Auch in diesem Jahr setzte die künstlerische Leiterin und Gründerin des Festivals Michal Lewkowicz eine breite Palette von spannenden und stilistisch unterschiedlichen Stücken aufs Programm. Unter dem Titel «Orient und Okzident» sollte ein Bogen zwischen Ost und West geschlagen werden. Das ist auf sinnige Weise geglückt, und die Ausführenden musizierten, wie schon in der Vergangenheit, auf herausragendem Niveau.
Liederzyklus als Performance
Einige rote Fäden ziehen sich durch die noch junge Festivalgeschichte: Wortbeiträge – dieses Jahr gab es eine Diskussionsrunde über die jüdische Musiktradition –, Einführungen, Schauspielszenen, Kinder- und Familienkonzerte sowie Künstler, die wiederholt zu erleben sind, wie etwa die Pianisten Noam Greenberg und Menachem Wiesenberg oder das Doric-Quartett aus England. Unter den Komponisten findet sich ein Name, der sich bei Mizmorim zu etablieren scheint: Osvaldo Golijov. Schon 2015 verblüffte der Argentinier mit The Dreams and Prayers of Isaac The Blind, in dem er moderne Klänge mit Elementen jüdischer Volksmusik elegant verband. Auch 2016 war er wieder präsent und in diesem Jahr meldete er sich mit Ayre, einem Liederzyklus für Sopran und zwölf Musiker, Sound Design und Dirigent (Nicholas Daniel), stark zurück. Das Werk ist gemäss Programmtext inspiriert vom mittelalterlichen Spanien, als Christen, Juden und Muslime lange Zeit friedlich zusammenlebten. Im Zentrum dieses packenden Stücks stand mit der Solistin Nora Fischer eine Künstlerin, die nicht nur Lieder sang, sondern eine erstklassige Performance auf die Bretter der Gare du Nord legte. Sie brillierte stimmlich in allen Lagen und verband einen intensiven Ausdruck mit verschiedenen Stilen wie Klassik, synagogaler, Tango- und Rockmusik. Darüber hinaus transportierte das Werk auf treffende Weise den Anspruch des Festivals: Es schlug mit seinem Stilmix eine musikalische Brücke zwischen Orient und Okzident.
Wüstenwind und Schubert
Am selben Abend waren einige bemerkenswerte Beiträge in kleiner Besetzung zu hören. In familiärer Atmosphäre – alle Musiker blieben auf der Bühne und hörten einander zu – spielten Teodoro Anzellotti (Akkordeon) und Hélène Clément (Bratsche) einige Lieder aus Schuberts Winterreise, und zwar aus den Originalnoten – eine hörenswerte Klangvariante. John Myerscough interpretierte umwerfend brillant Alone für Cello solo, André Klénès’ Rose du Vent in der ungewohnten Besetzung für Gitarre (Adrien Brogna) und Kontrabass (Winfried Holzenkamp) klang verführerisch und Teodoro Anzellotti interpretierte drei wunderbar schräge Sätze aus Mauricio Kagels Rrrrr…
Neu wurde 2018 ein Kompositionsauftrag vergeben, diesmal an Josef Bardanashvili; im nächsten Jahr soll die Schiene des «Composer in residence» fortgeführt werden. Das Oktett Desert Wind für Klarinette, Fagott, Horn, Streichquartett und Kontrabass des aus Georgien stammenden Israeli, vermochte das Publikum in seinen Bann zu ziehen. Bardanashvili versteht sein Stück quasi als Spiegelung des Oktetts in F-Dur von Franz Schubert in derselben Besetzung. Es wurde deshalb auch am selben Abend von denselben Künstlern aufgeführt. Das Doric-Quartett, Kontrabass und Bläser stimulierten das Publikum mit ihrer zauberhaft leichten und tänzerischen Spielweise.
Neben dem erwähnten Oktett war Schubert am Festival auch mit der Klaviersonate Nr. 21 in B-Dur, den Variationen für Klavier vierhändig (D 813) und der Fantasie in f-Moll vierhändig (D 940) präsent. Besonders freute sich die Festivalleiterin auf Mizmor (Psalm) 92 für vierstimmigen Chor (mit der Mädchen- und Knabenkantorei Basel), ein Stück, das eine Besonderheit in Schuberts Schaffen darstellt, da er darin einen hebräischen Text vertonte.
Am Abschlussabend sah man sich alsdann im Okzident angekommen. Die Besucher im Bird’s Eye Jazzclub erlebten einen Tangoabend der feinen Art. Der renommierte, aus Argentinien stammende Komponist und Bandoneonist Marcelo Nisinman musizierte mit Band in der Besetzung Flöte, Klavier und Kontrabass seine stilistisch eigenwilligen Tangos sowie Originale unter anderem von Astor Piazzolla.
Das nächste Mizmorim-Festival findet im Januar 2019 unter dem Titel «Wien» statt. Erstmals ist als «Aussenstation» ein Tag in Zürich sowie ein Kompositionswettbewerb geplant. Eingereicht werden kann bis am 1. Mai 2018 ein Stück für Klavier zu vier Händen. Weitere Informationen dazu unter: www.mizmorimfestival.com/take-action