Das linke Ohr

Eine Ausstellung über den Basler Komponisten Jacques Wildberger in der Universitätsbibliothek Basel.

Jacques Wildberger zirka 1950. Foto: zVg

Es gibt mehrerlei Widerstand: den heftigen, existenziellen, aber manchmal auch den genüsslichen. Der eine hilft den anderen ertragen. Beides kannte Jacques Wildberger (1922–2006); das Leben hatte es ihn wohl gelehrt. Da war zum einen sein politisches Engagement; er war Kommunist und seit 1944 Mitglied der PdA, verliess die Partei allerdings drei Jahre später schon wieder aus Protest gegen die stalinistischen Verbrechen. Das freilich war kein Grund für ihn, auch sein Engagement zu widerrufen – im Gegenteil. Der hellsichtige Wildberger war neben dem zwei Jahre jüngeren Klaus Huber das politische Gewissen in dieser Komponistengeneration. «Dagegen zu komponieren war und ist mein agita movens», schrieb er.

Er verfügte allerdings auch über eine spitzbübische Seite, etwa wenn er, der Avantgardist, im Gespräch sagte, er möge das 2. Rachmaninow-Konzert und Lehár habe doch eigentlich wunderbar instrumentiert. Überhaupt möge er Kitsch, wenn er gut gemacht sei. Das dürfte denn doch einige verblüfft haben. Mit einer gewissen Koketterie sagte er auch, er habe seinen Nachlass eben nicht wie viele seiner Basler Kollegen der Paul-Sacher-Stiftung, sondern der Universitätsbibliothek Basel übergeben.

Das Verhältnis zu Sacher nämlich war zwiespältig. Wenn dieser auch später seine Unterschrift unter die Urkunde setzte, als der Schweizerische Tonkünstlerverein Wildberger den Komponistenpreis verlieh, so dürfte er Wildberger doch ziemlich verärgert haben, damals 1954. Der Komponist hatte ihm seine Tre Mutazioni geschickt; der Mäzen sandte die Partitur «mit bestem Dank» zurück, bemerkte «interessante Klang- und Rhythmikexperimente» darin, fand das Stück aber «weder geistig ingeniös noch gefühlsmässig empfunden, sondern intellektuell errechnet», kurz: «kunstgewerbliche Spielerei». Schliesslich bat er Wildberger «mit den freundlichsten Grüssen» in diesem «ungeschminkten Urteil einen Beweis meines Vertrauens und meiner freundschaftlichen Gesinnung zu sehen».

Avantgardistisch und nicht avanciert genug

Solche Zusammenhänge werden nun in einer Ausstellung offensichtlich, die derzeit in der Universitätsbibliothek Basel zu sehen ist. Sie heisst Das linke Ohr, wurde von Michael Kunkel, dem Leiter der Forschungsabteilung an der Hochschule für Musik FHNW, kuratiert und entstand in der Zusammenarbeit mit der Universität Basel und der Schweizerischen Musikforschenden Gesellschaft. Man habe Wildberger nicht einfach ein Denkmal setzen wollen, sagte Kunkel bei der Vernissage. Lieber zeigt er ihn in seinen vielen, manchmal auch etwas widersprüchlichen Facetten, in zwölf Stationen – mit zahlreichen Partituren, Fotos, Audio- und Videodokumenten. Als besonderes Geschenk mag die auf dem Estrich wiedergefundene Bonbon-Schachtel mit Dokumenten gelten, die ebenfalls Eingang in die Ausstellung fand. Begleitet wird diese von mehreren Rahmenveranstaltungen, insbesondere einem Symposium Anfang März 2018.

Jacques Wildberger war, wie hier zu sehen ist, eine schillernde Persönlichkeit. Es lohnt sich, etwas Zeit zu investieren, die Dokumente zu studieren und in die Tonbeispiele hineinzuhören. Selbst Wildberger-Kenner dürfte manches überraschen, zum Beispiel das Eisler-nahe Kampflied Wir wollen zusammen marschieren, das er für das Basler Arbeiterkabarett «Scheinwerfer» komponierte, oder seine Auftritte als Dirigent des Zigeunerbarons, aber auch die Musik zum Armeedienstfilm Einer von Allen aus dem Jahr 1958.

Sein Weg war nicht einfach, weil er die Opposition suchte. Das wird ein Grund dafür gewesen sein, dass er beim Exilrussen Wladimir Vogel die Zwölftontechnik studierte. In der Schweizer Musikszene herrschte damals Neoklassizistisches vor. Figuren wie die Schönberg-Schüler Alfred Keller und Erich Schmid waren Aussenseiter. Ausnahmepersönlichkeiten wie Rolf Liebermann, Hermann Meier oder eben Wildberger suchten bei Vogel den Kontakt zur Dodekafonie. Ein Zwölftondogmatiker wurde er aber nicht; Wildberger ging eigenwillig damit um. Und dennoch geriet er zwischen die Zeitläufte: In der Schweiz galt er als Avantgardist, in Deutschland musste er feststellen, dass er als zu wenig avanciert galt. Er war nicht absolut modern: «Ich fühle mich durchaus nicht als Museumsdiener einer unanfechtbaren Vergangenheit, sondern ich bemühe mich, die Tradition lebendig zu erhalten durch Weitergehen und -forschen in unserer spannenden Gegenwart. Traditionell bin ich auch gerne insofern, als ich das Handwerk des ‹Komponierens› in Ehren halte.» Und deshalb war er so frei, einige seiner wichtigsten Radiosendungen und Publikationen der Musik Dmitri Schostakowitschs zu widmen.

Solche Eigenwilligkeit muss sich erst einmal durchsetzen, auch wenn man aus gutem, humanistisch geprägtem Basler Bürgertum stammt. Dass ihm Sacher nie einen Auftrag erteilte, verhinderte schliesslich nicht, dass Wildberger eine anerkannte Persönlichkeit nicht nur des Basler Musiklebens wurde und an der Musik-Akademie unterrichtete. Seine Position blieb prononciert links.

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