Klaviermusik rot und schwarz

Im Rahmen von Lucerne Festival sind vom 18. bis 26. November legendäre Meisterpianistinnen und -pianisten sowie Nachwuchstalente zu hören.

Opening «Piano Off-Stage» am 21. November. Foto: Priska Ketterer/Lucerne Festival

Ein schwarzer und ein roter Konzertflügel stehen auf der Bühne des Luzerner Saals im Kultur- und Kongresszentrum Luzern (KKL). Schon eine Stunde vor dem Opening von Piano Off-Stage ist jeder Platz besetzt. Die Präsentation der acht Jazz- und Bluespianisten, die an den Abenden auch in Luzerner Hotelbars spielen, ist schon seit der Einführung im Jahr 2003 eine Kultveranstaltung des gut einwöchigen Lucerne Festivals Piano. Hier sitzt man bei freiem Eintritt um die Pianisten herum und kann ihnen beim Improvisieren auf die Finger schauen. Hier kann man sogar sein Bier mit an den Platz nehmen. Mit Alessandro d‘Episcopo betritt der erste Pianist den Ring. Mit der seiner Tochter gewidmeten ruhigen Jazznummer Lunita startet der Abend besinnlich, ehe die klassisch ausgebildete Pianistin Ayako Shirasaki aus New York mehr Swing entwickelt. Die Zuhörer erleben auf der Bühne keinen Kampf der Eitelkeiten, sondern eine freundschaftliche Atmosphäre und eine grosse stilistische Bandbreite zwischen Jazz, Blues, Boogie-Woogie und Ragtime. Der junge Schweizer Maurice Imhof präsentierte ein groovendes James-Bond-Medley, Lluís Coloma aus Barcelona macht aus dem Klavier mit virtuosen Bassläufen und akzentuierten Akkorden eine stampfende Rhythmusmaschine. Noch aufregender wird es, wenn Moderator Andreas Müller-Crepon zwei Pianisten zu Sessions zusammenmixt. Ein improvisierter Spass mit faszinierenden musikalischen Dialogen, ehe sie nach getaner Arbeit Arm in Arm wieder an die Bar schlendern. Ganz am Ende stehen und sitzen alle acht Pianisten an den beiden Flügeln und spielen gemeinsam einen Blues. Kreatives Gedränge auf den Tastaturen! Und das Publikum staunt und geniesst.

Ausnahmekonzerte und Debüts

Auch beim Rezital von Güher und Süher Pekinel stehen zwei (schwarze) Konzertflügel auf der Bühne des grossen Saals. Seit den 80er-Jahren gehören die türkischen Zwillingsschwestern zur internationalen Spitze der Klavierduos. Im Gegensatz zu den Kollegen sitzen sie beim Spielen nicht gegenüber, sondern seitlich versetzt. Ohne Blickkontakt vertrauen sie beim Zusammenspiel ausschliesslich ihrem Gehör. Ein kräftiges Einatmen von Güher Pekinel am 1. Klavier reicht – dann setzen die beiden Schwestern bei Mozarts Sonate für zwei Klaviere in D-Dur KV 448 auf die Millisekunde genau gemeinsam ein. Faszinierend, wie deckungsgleich auch Unisonopassagen oder Schlussakkorde gelingen. Mit Martha Argerich, Evgeny Kissin und Daniil Trifonov präsentiert der Herbstableger des Sommerfestivals in diesem Jahr wieder absolute Ausnahmekünstler der Klavierszene. Mit dem sogenannten Tastentag, der drei Rezitals mit einem Vortrag von Martin Meyer zur Debussy-Interpretation verbindet, versucht man, durch günstigere Eintrittspreise und kürzere Konzerte ein anderes Publikum zu erreichen. Auch bei der am Mittag stattfindenden Debütreihe mit Beatrice Rana, Aglaia Graf und Christopher Park in der Lukas-Kirche geht es legerer zu. Hier gibt es keinen Sekt, sondern «nur» gute Musik von jungen Talenten. Christopher Park hat im Sommer schon beim Freiburger Zeltmusikfestival gespielt und gerade beim SWR-Symphonieorchester mit dem A-Dur-Konzert von Mozart KV 488 debütiert. Der deutsch-koreanische Pianist ist ein kluger Gestalter, der in seinem Spiel immer einen erzählerischen Ton anschlägt. Das für ihn komponierte Trurl-Tichy-Tinkle (2016) von Olga Neuwirth ist ein virtuoses Spiel mit Kontrasten, das Park in der gut gefüllten Lukaskirche lustvoll zelebriert. In Strawinskys Petruschka imaginiert der draufgängerische Pianist am Flügel ein ganzes Orchester. Nur in Franz Liszt einsätziger Dante-Sonate türmt er die Akkordberge zu hoch. In den vielen Fortissimo-Passagen wird der Klavierklang hart und metallisch. Hier fehlt es an Zwischentönen und der richtigen Balance.

Von der Interpretation zur Improvisation

Wie sensibel man mit Farbnuancen und dynamischen Differenzierungen umgehen kann, zeigt exemplarisch die venezolanische Pianistin Gabriela Montero. Ihre Kinderszenen von Robert Schumann sind helle, verbindliche Miniaturen. Die Interpretation der zweiten Schostakowitsch-Sonate verbindet unerbittliche Motorik mit mächtigen, aber nie brutalen Klangausbrüchen. Bekannt geworden ist die Pianistin durch ihre Improvisationen. Eine Besucherin singt von der Empore des KKL das Schweizer Volkslied Dört äne am Bärgli, do stoht a wyssi Geis. Montero spielt die Melodie zweimal nach, ehe sie das Thema nach Moll wendet und es Stück für Stück auseinandernimmt. bachsche Kontrapunktik trifft auf höchste Variationskunst. Montero erfindet immer neue Charaktere, ehe sie das Ganze charmant zusammenfasst und zu einem heroischen Ende führt. Auch das mexikanische Revolutionslied La Cucaracha behandelt sie in ähnlicher und doch wieder ganz anderen Weise. Am Ende landet sie beim Ragtime – und könnte so locker mit den Jazzkollegen mithalten. Da hat nämlich vor dem Konzert schon Rossano Sportiello am roten Flügel im Foyer gezeigt, wie man elegant und mit einem Lächeln von Beethovens Ode an die Freude zu einer entspannten Jazzballade wechseln kann.

Lucerne Piano-Festival 2017, noch bis am 26. November

www.lucerne-festival.ch

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