Stimmlicher Einzelkämpfer
Mischa Käser zeigte am 19. Januar sein Soloprogramm «Lava» im Berliner Heimathafen.
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Im Zentrum des diesjährigen Ultraschallfestivals steht die Stimme in all ihren Sinnvarianten – sei es als Sing- oder Sprechstimme, als unterdrückte politische Stimme oder die Stimme an der Wahlurne. So jedenfalls steht es im Programmheft. Da ist es nur folgerichtig, dass auch der Schweizer Vocalpoet Mischa Käser einen Auftritt hat. Etwas unglücklich gewählt ist leider der Zeitpunkt im Programm, denn direkt vor Käsers Vokalperformance spielt das Festivalthema überhaupt keine Rolle. Stattdessen bringt das Ensemblekollektiv Berlin, das sich aus dem Ensemble Adapter, dem SonarQuartett, dem Ensemble Apparat und dem ensemble mosaik zusammensetzt, ein neues Werk des kanadischen Komponisten Marc Sabat zur Uraufführung. Wer sich für Sabats instrumentale Intonationsexperimente im Gross-Ensemble-Format interessiert, bleibt wochentags eher nicht bis spät in die Nacht, um noch einem Solo-Vocalpoeten zuzuhören, so dass Käser im grossen Saal des Heimathafens vor einem nur noch dünn besetzten Zuschauerraum spielen muss. Da wäre es wohl besser gewesen, den Schweizer mit der irischen Stimmkünstlerin Jennifer Walshe zu kombinieren.
Von der geringen Besucherzahl unbeeindruckt, bietet Mischa Käser eine hoch konzentrierte, klare und präzise Performance von grosser Kraft. Sein Programm Lava, das aus dem Jahr 2010 stammt, lässt sich für jeden Anlass neu verändern und anpassen. Es besteht aus einer Vielzahl von Vokalminiaturen, die wie Songs in einem Musik-Set aneinandergereiht sind, abgetrennt von kurzen Momenten der Entspannung.
Für das Themenfeld, in dem sich Käser in seinem Programm bewegen wird, stimmt das Präludium ein, in dem der Künstler mit einem schwach leuchtenden Hut auf die Bühne tritt, der mit vielen durcheinander klingenden Spieluhren bestückt ist. Diese laufen aus und nur eine Melodie bleibt übrig: «Sandmann, lieber Sandmann …» Auch wenn die Worte nicht zu hören sind, klingen sie und ihre Bedeutung im Kopf mit.
Wie Inhalt, Bedeutung, Form und Klang zusammenhängen, zeigt eindrücklich auch die nächste Miniatur Rede für M. Darin bringt Käser auf virtuose Art Nonsens-Laute zum Einsatz. Zunächst wirkt diese Form der Nicht-Sprachverwendung irritierend und befremdlich. Doch wenn man sich darauf einlässt, transportieren auch Sprachmelodie, Haltung und Gestik auf andere als die gewohnte Weise noch genug Inhalt und sind imstande, eine ganze Geschichte zu erzählen. Bei Käsers «Rede» beispielsweise handelt es sich, wie zwischen den Zeilen deutlich wird, um einen Vortrag über Stimmverwendung und Sprachtechniken. Die inhaltliche Ebene, die normalerweise transportiert wird, fehlt – alles andere bleibt aber übrig, zeigt wie eine Art Röntgenbild, was einen Vortrag neben dem Inhalt noch ausmacht, und richtet das Augenmerk darauf, was eigentlich das Skelett der Kommunikation bildet. Mit dieser Verständigungsebene arbeitet Mischa Käser auch in den anderen Kompositionen, die er in Lava präsentiert. Zugleich führt er darin seinen Körper als Vokalinstrument mit all seinen Facetten vor: den mal fliessenden, mal abgehackten Atem, die Lunge, den Bauch und den Brustkorb, den Kehlkopf, das Zwerchfell, die Zunge, die Zähne, den Mund. Er beeindruckt in Srrrrrit und Yoooo durch die mehrmalige genaue Wiederholung einzelner Nonsens-Laut-Phrasen, womit er die musikalische Ebene des Sprechens hervorkehrt. Zugleich bringt er hier die gesamte Bandbreite seiner Stimme zur Anwendung, von hohem Zirpen bis zu dunklen Impulsen aus der Tiefe des Bauchraums. Das rhythmische Spiel des gesamten Muskelapparats, das damit verbunden ist, wirkt geradezu wie ein Tanz.
In seinem Programm beleuchtet Käser ausserdem die Stimmungen und Leidenschaften, die von der Stimme transportiert werden, von Aggression bis Zärtlichkeit. Und auch der Unterschied verschiedener Sprachen spielt eine Rolle. So klingt Käser in der Hommage à Marina Zwetajewa plötzlich weich und sanft wie russische Lyrik.
Sein letztes Stück Allegro man troppo, Andante sostenuto erzählt mit vielgestaltigen nichtsprachlichen Mitteln die Geschichte eines lallenden Menschen, der versucht, etwas zu artikulieren, was ihm aber nicht so recht gelingt. Unbeirrt setzt er immer wieder neu an, bis er von einem ungeduldigen Gegenüber harsch angefahren wird: Es reicht! – Die Geschichte von der Zurückweisung eines um Verständnis bemühten, verletzlichen Menschen, die Käser hier zeigt, berührt auf eigentümliche Weise und hallt noch lange mit einem schmerzlichen Echo nach.
Das Publikum im Heimathafen zollte dem erschöpften Käser nach dieser beeindruckenden Vokalperformance Tribut mit lang anhaltendem Applaus.