Ein Dorf «entdeckt» seinen Komponisten

Vom 1. bis 11. September empfing das Othmar-Schoeck-Festival in Brunnen Musikliebhaber und ausgewiesene Fachspezialisten. Hauptschauplatz der 35 Veranstaltungen waren das ehemalige Schoeck-Hotel Eden und die Schoeck-Villa mit dem Atelier.

Am rechten Bildrand: Nordseite der Schoeck-Villa. Foto: Katrin Spelinova

«Um ein Haar wäre Othmar Schoeck in der Region vergessen gegangen, gerade auch bei der jüngeren Generation. Das Festival hat dies erfolgreich verhindert.» Diese Worte begleiteten am Schlusskonzert die Übergabe des Anerkennungspreises des Bezirks Schwyz an das verantwortliche ehrenamtlich tätige Festival-Kuratorium. Damit wurde die Hoffnung vieler alter und neuer Schoeckfans aus Nah und Fern unterstrichen, das Festival möge der Othmar-Schoeck-Pflege in welcher Form auch immer neuen Elan verleihen. Wie vielfältig die Zugänge zu diesem Werk sind, zeigte das Festival beispielhaft, das in der Lokalpresse (Bote der Urschweiz) grossen Nachhall fand und im Eröffnungskonzert die Bühne einheimischen Ensembles überliess. Es gelangten dabei Werke zur Aufführung, die entweder für hiesige Musikvereine geschrieben wurden, einen inhaltlichen Lokalbezug aufweisen oder in Brunnen entstanden sind.

Umfeld

Den Rahmen bildete die Ausstellung in der Galerie am Leewasser über Leben und Werk von Schoecks Vater, dem Landschaftsmaler Alfred Schoeck (1841–1931). Sie war Ausgangspunkt auf der Reise zu Othmar Schoeck (1886–1957), denn die Originalschauplätze schoeckschen Lebens befinden sich in Sichtweite: das Hotel Waldstätterhof, wo Othmars Mutter aufgewachsen war, die Villa hoch über dem See und daneben das Hotel Eden, beides von Schoecks Vater erbaut, sowie See, Wald und Berge. Othmars sieben Grossneffen und -nichten scheuten sich nicht, die Türen der Villa Aussenstehenden zu öffnen. Es gab Führungen im Atelier, das wie eine Zeitkapsel erhalten geblieben ist.

Das Lwowski-Kronfoth-Musiktheaterkollektiv aus Berlin liess sich von Hotel, Haus und Garten sowie Anekdoten und Werken inspirieren. Daraus entstand die Performance Othmars Geisterhaus, die mit ihrer fantastischen Szenerie Schoecks Musik eine aussergewöhnliche Bühne bot.

Im Saal des Hotels Eden wurde das Erscheinen des neuen Schwyzer Heftes gefeiert, das den Briefwechsel zwischen Hermann Hesse und Othmar Schoeck erstmals komplett vorlegt. Anderntags skizzierte Chris Walton Leben und Werk des Komponisten und riss damit das Publikum im vollbesetzten Eden-Saal zu Begeisterungsstürmen hin.

Musik

Die Ausschreibung eines internationalen Wettbewerbs für Liedduo war ein guter Schachzug, um das herausragende Liedschaffen Schoecks bekannter zu machen. 13 Ensembles haben je 12 bis 14 Lieder erarbeitet. Für die meisten dieser jungen Musikerinnen und Musiker war dies die erste Auseinandersetzung mit Schoecks Werk. Sofern sie dieses Repertoire weiter pflegen, werden einige von ihnen vielleicht zu einem schlichteren Auftritt und klareren Klangfarben finden, die den Zauber vieler Lieder erst ausmachen.

In weiteren Konzerten im Grand Palais und im Hotel Waldstätterhof war die erstaunliche Vielfalt von Schoecks Musik zu hören. Die Aufführung des Notturnos op. 47 aus dem Jahr 1933 durch das Merel-Quartett und Christian Hilz bildete dabei für viele den Höhepunkt.

Diskussion

Die Musikwissenschaft schliesslich bereicherte das Festival mit dem dreitägigen internationalen Symposium unter dem Titel «‹Als Schweizer bin ich neutral› – Schoecks Oper Das Schloss Dürande». Das Libretto nach der gleichnamigen Novelle von Eichendorff stammt von Hermann Burte. Es ist von zweifelhafter dichterischer Qualität und strotzt von braungefärbtem Inhalt. 1943 in Berlin uraufgeführt, wurde die Oper dort bald abgesetzt und in Zürich ein Misserfolg, der Schoecks Karriere schadete. Thomas Gartmann leitet an der Hochschule der Künste Bern (HKB) das seit dem 1. September 2013 vom Schweizerischen Nationalfonds geförderte Projekt «Das Schloss Dürande von Othmar Schoeck – Szenarien zu einer interpretierenden Restaurierung». In diesem Zusammenhang wurde Francesco Miecieli mit der Revision des Textes beauftragt – näher zu Eichendorff –, Mario Venzago zeichnet für musikalische Anpassungen der Singstimmen verantwortlich. Am Symposium wurden in einem Workshop Teile des Stücks in der Originalfassung sowie die entsprechenden revidierten Passagen vorgetragen. Dieses vergleichende Hören sprach für die Qualität der vorgenommenen Eingriffe.

Thomas Gartmann schätzte die direkte Auseinandersetzung mit dem Werk: «Die fruchtbaren Diskussionen, Einwände, Anregungen und Zustimmungen waren sehr wichtig: Einiges fliesst noch in unsere Darstellungen ein, Argumente müssen noch geschärft, Einsichten relativiert werden. Besonders wertvoll war der Workshop am Samstagnachmittag. Wichtig war hier vor allem die Erkenntnis, dass die neue Version sangbarer ist und auch die Haltung positiv beeinflusst. Das gibt auch Mut bei der Realisierung der geplanten Aufführung.»

Chris Walton, der dem Vorhaben ursprünglich skeptisch gegenüberstand, meinte nach Abschluss des Symposiums: «Ich bin inzwischen überzeugt, der Versuch lohnt sich, und der neue Text scheint gut. Wichtig für mich ist aber, dass der ganze Prozess offengelegt und diskutiert wird – wie am Symposium. Und ich bin der Meinung, ein Werk hat ein Eigenleben, nachdem es fertig geschrieben wurde. Das heisst, man sollte nicht davor zurückschrecken, das Werk zu ‹ent-burtefizieren›. Ich bleibe jedoch gegen jegliche Inszenierung mit dem Originaltext.»

Wirkung

Wer weiss, vielleicht vermochte das Brunner Festival in seiner ganzen Vielfalt die künstlerische und wissenschaftliche Rezeption des schoeckschen Œuvres zu durchlüften. Anregend war es auf jeden Fall. Für 2018 plant die HKB Publikationen, die an das Symposium anknüpfen sowie eine CD-Produktion der Neufassung von Das Schloss Dürande. Und auch das Kuratorium will am Ball bleiben – dort spricht man von einer Weiterentwicklung des «Labels Othmar Schoeck».

Dokumentation

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Nicht nur für Eingeweihte: Othmar Schoecks Musik darf nicht in der Versenkung verschwinden. Durch diese Tür gelangte man in den Eden-Saal, wo das Symposium und weitere Veranstaltungen stattfanden. Foto: Katrin Spelinova

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