Lotsen für das Publikum
Seit letztem Jahr bietet der Heidelberger Frühling eine Akademie für Musikjournalismus an. Bericht von der Ausgabe 2016 mit gestandenen Profis wie Eleonore Büning und Max Nyffeler und einer Reihe junger Unerschrockener.
Die Notebooks sind aufgeklappt. Die Kaffeekanne wandert von Tisch zu Tisch. In vier Stunden ist Deadline für das erste Festivaljournal des Heidelberger Frühlings. «Nun ist es vorbei mit der Plauderei der letzten Tage», sagt Eleonore Büning, Musikredakteurin der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ), und lässt im Robert-Schumann-Zimmer der Stadthalle gleich eine Kritik auf die Leinwand projizieren. Die zehntägige Akademie Musikjournalismus unter ihrer Leitung findet in diesem Jahr erst zum zweiten Mal statt. Die acht Plätze werden an junge Musikjournalisten vergeben, die schon publiziert haben und sich auch aktiv mit Musik auseinandersetzen. Dieses Jahr sind zwei Sänger und ein Cellist dabei, eine Organistin und mit Anna Lang auch eine Teilnehmerin, die gleich sechs verschiedene Instrumente spielt. Thilo Braun studiert Musikjournalismus in Dortmund und ist freier Mitarbeiter beim Kulturradio WDR3. Seine Kritik über ein Konzert der Geigerin Tianwa Yang mit dem Pianisten Nicholas Rimmer am Vorabend wird kollektiv redigiert. Es geht um einen guten Einstieg, die richtige Balance («Sie dürfen die Texte nicht überwürzen!»), die Auflösung von Relativsätzen und immer wieder um die passende, genaue Formulierung. «Bei ‹Entschlüpfen› denke ich an eine schleimige Angelegenheit», konstatiert Büning trocken und sucht gemeinsam mit den Akademiestipendiaten nach Alternativen. Zehn Minuten lang wird an dem Satz gefeilt. «Zarte Liegetöne aus Yangs Geige kontrastierten zum Rumor der Nachschläge im Klavier» lautet die endgültige Version, die am nächsten Tage im Festivaljournal zu lesen ist.
Plädoyer für den Berufsstand
«Heute findet jede Zeitung grössere Verbreitung durch Musikkritiker», textete Georg Kreisler noch in den 1960er-Jahren. Und definierte in seinem bösen Lied gleich das Berufsbild: «Es gehört zu meinen Pflichten, Schönes zu vernichten als Musikkritiker.» Heute wird die Musikkritik in den Zeitungen an den Rand gedrängt. Die Texte werden kürzer und seltener. In Redaktionskonferenzen spricht man abfällig von Rezensionsfriedhöfen und Special-Interest-Texten, die wegen des Themas und des Fachvokabulars sowieso keiner lese. Tatsache ist, dass noch nie so viel Klassische Musik in Konzertsälen, Festivals und Opernhäusern gehört wurde wie derzeit. Bereits 2011 hatten in Deutschland laut einer Studie der Gesellschaft für Konsumforschung Klassikveranstaltungen (Konzerte, Oper, Operetten) mehr Besucher als Popkonzerte und Musicals. Was also in der Krise stecke, sei nicht die Klassik, sondern der Musikjournalismus, ist im Programmbuch des Heidelberger Frühlings zu lesen. «Für mich ist eine gute Musikkritik die beste Art der Musikvermittlung», sagt Intendant Thorsten Schmidt. «Musikkritiker sind Lotsen für das Publikum. Das Schreiben über Musik hilft dem Sprechen darüber.» Deshalb hat er 2015 die Akademie Musikjournalismus ins Leben gerufen. Und mit Eleonore Büning (64) die vielleicht wichtigste Musikkritikerin Deutschlands dafür gewonnen. Das Zurückdrängen der Berichterstattung über klassische Musik hat sie auch bei der Frankfurter Allgemeinen Zeitung erlebt. Bis 2004 gab es noch vier Musikredakteure, seit 2012 ist sie die einzige Verantwortliche für den Bereich Klassik. «Inhalte orientieren sich an der Quote, Geplauder ersetzt Kompetenz, Reklame ersetzt den Diskurs», schreibt sie im Leitartikel des Akademiejournals. Der ökonomische Druck auf die Zeitungen sei hoch durch die Abwanderung des Anzeigengeschäfts ins Internet, dieser Prozess ist für sie «unaufhaltsam und irreversibel». In der Musikjournalisten-Akademie möchte Büning die Teilnehmer handwerklich fit machen für die Zukunft. Ein besonderes Augenmerk liegt dabei auf dem Onlinejournalismus. Für längere Texte, die auch Hörbeispiele einbinden, werden Storyboards erstellt. Die eigene Website www.musik-journalismus.com haben die beiden letztjährigen Stipendiaten Christopher Warmuth und Malte Hemmerich mit neuem Kacheldesign ausgestattet.
Überhaupt entsprechen die acht jungen Musikjournalisten so gar nicht dem Klischee des leidenschaftslosen, von Georg Kreisler karikierten Kritikers («Ich hab zwar ka Ahnung, was Musik ist, denn ich bin beruflich Pharmazeut. Aber ich weiss sehr gut, was Kritik ist: Je schlechter, umso mehr freun sich die Leut»). Keine kauzigen Klassiknerds sind in der Musikjournalismus-Akademie zu erleben, sondern kommunikative Digital Natives, deren Musikbegeisterung in jedem Moment zu spüren ist. Sie hören interessiert zu und fragen nach, wenn der Schweizer Musikjournalist Max Nyffeler (Jahrgang 1941) aus dem Nähkästchen plaudert und die schwierig gewordenen wirtschaftlichen Bedingungen thematisiert. «Gerade beim Radio haben in den letzten Jahren die Sendeplätze für Beiträge, die sich mit klassischer und vor allem auch zeitgenössischer Musik auseinandersetzen, extrem abgenommen. Die Honorare wurden halbiert oder zum Teil geviertelt. Und bei den Zeitungen sieht es nicht besser aus.» Die jungen Musikjournalisten wie Anna Lang (23) aus Karlsruhe lassen sich aber davon nicht abschrecken. Sie möchten sich thematisch breit aufstellen und sowohl Radio als auch Print bedienen. Reich werden können sie mit Musikjournalismus nicht – das ist den Stipendiaten klar. Dafür sind sie mit Leidenschaft bei der Sache. Auch Max Nyffeler hält am Ende seines Statements trotz aller Einwände ein Plädoyer für den Berufsstand: «Den Menschen die Ohren zu öffnen, sie verstehen zu lehren und Kommunikation zu ermöglichen, ist die wichtigste Aufgabe des Musikkritikers.»